Julia Sommerliebe 0023
hatte!
An diesem wunderschönen Ort hing ja nicht nur der böse Teil der Familiengeschichte, nicht nur die letzten zwanzig Jahre. Nein, es war so viel mehr! Fünfhundert Jahre ehrwürdige Tradition, wertvolle Erinnerungen.
Was Leandro aber beschäftigte, war die jüngere Geschichte. Damit musste er erst fertigwerden, bevor er alles andere wertschätzen konnte.
Zoe hakte nach: „Wenn Ihr Vater damals alles verloren hat – warum ist dann die Villa noch im Familienbesitz geblieben?“
„Das liegt daran, dass sie nie ihm gehört hat“, erklärte Leandro. „Sie gehörte damals noch meinem Großvater, und nach dessen Tod im letzten Jahr ist sie in meinen Besitz übergegangen. Er hatte allerdings nicht das Geld, sie zu restaurieren, weil er für die Schulden meines Vaters aufkommen musste. Daher konnte mein Großvater die Villa so gerade eben halten.“
„Dann wurde ihr Vater also in der Erbfolge übersprungen.“
Leandro lächelte bitter. „Genau. Nachdem Vater verschwunden war, hat mein Nonno sofort sein Testament geändert. Wer die Ehre der Filamettis so in den Dreck zieht hat es auch nicht anders verdient!“
Zoe nickte. Plötzlich fielen ihr wieder seine Worte von vorhin ein.
Sie kommen mir wie ein Mädchen vor, das sich einfach nimmt, was es will, solange es die Möglichkeit dazu hat. Sie sind eine Frau, die ihren Spaß haben will und sich nicht weiter um die Folgen schert. Und der nichts im Leben wirklich wichtig ist.
Ihr Magen krampfte sich zusammen, und ihr wurde eiskalt, als sie den Zusammenhang erkannte.
„Sie glauben, dass ich genauso bin“, flüsterte sie. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, und sie schämte sich zutiefst … obwohl sie genau wusste, dass es dafür gar keinen Grund gab. „Sie meinen, dass ich so bin, wie diese herzlosen, kriminellen … Schlampen, mit denen sich Ihr Vater abgegeben hat!“
Benommen setzte sie sich auf einen Sessel und stützte ihren Kopf in beide Hände. Warum tat diese Erkenntnis bloß so unendlich weh? Sie hätte Leandro niemals näherkommen dürfen! Das konnte doch nicht sein, sie wollte doch weder ihr Herz noch ihren Stolz verlieren!
Trotzdem kam es ihr gerade so vor, als hätte Leandro ihr beides bei lebendigem Leibe herausgerissen …
Auf einmal war ihr alles erschreckend klar: Warum er sich immer wieder dagegen gewehrt hatte, ihr näherzukommen … Und warum er immer wieder so abfällig über sie gesprochen hatte.
Keine Frage: Leandro hatte Angst davor, so zu werden wie sein Vater. Er hatte Angst, sein ganzes Leben zu zerstören – für ein Mädchen wie sie, ein eiskaltes Flittchen, das selbst vor Erpressung nicht zurückschreckte …
Ihr wurde erneut übel, aber sie schluckte den bitteren Geschmack herunter und kämpfte dabei gegen die Tränen an. Versuchte, die Trauer, Enttäuschung und Wut nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen.
Genau so praktizierte sie es schon ihr ganzes Leben lang. Sie lernte neue Orte kennen, fand neue Freunde, stellte sich immer wieder auf neue Lehrer ein. Mit der Zeit hatte sie sich ihrer unsteten Mutter perfekt angepasst. Auch wenn es ihr am Anfang schwergefallen war.
Als erwachsene Frau hatte sie dieses Muster aus ihrer Kindheit nicht abschütteln können. Sie hatte eine dicke Mauer um sich herum aufgebaut und lebte ganz in ihrer eigenen Welt. Wenn man sich nur auf sich selbst verlassen musste, konnte man auch nicht enttäuscht werden, das war stets ihr Motto gewesen. Jeden Fremden, der in ihr Leben getreten war, hatte sie auf Distanz gehalten.
Die Liaison mit Steve war eine Ausnahme gewesen. Zum Glück hatte sie sich mittlerweile von der Demütigung erholt.
Eigentlich sollte sie jetzt klüger sein. Aber nein, sie hatte sich erneut auf einen Mann eingelassen, diesmal sogar so weit, dass sie sich eine gemeinsame Zukunft erhoffte, Geborgenheit, ein Zuhause. Dabei sollte sie doch am besten wissen, dass dies ein unerreichbares Ziel war! Und natürlich bekam sie nun die Quittung für ihr Verhalten: Leandro hatte sie tief verletzt.
Schon in den letzten Tagen hatte er ihr wehgetan, doch die volle Tragweite der Verletzung bekam Zoe erst jetzt zu spüren, als sie seine Geschichte gehört hatte. Als sie seine Gedanken endlich verstand.
Langsam wandte er sich zu ihr um. Sein Blick war der eines geprügelten Hundes, er ließ seine Schultern hängen. So hilflos hatte sie ihn noch nie erlebt. „Nein, Zoe“, sagte er zaghaft. „Ich glaube auf gar keinen Fall, dass Sie so sind. Überhaupt nicht.“
Sie schluckte. In
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