Julia Sommerliebe 0023
Besatzung, der napoleonischen Kriege und der schrecklichen Zeit des Faschismus. Meine Familie und diese Villa haben alles überlebt.“
Er schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, ob aus Fassungslosigkeit oder aus Ehrfurcht vor der langen Familientradition.
„Aber … Wenn Ihre Familie das alles überlebt hat, warum verkaufen Sie dann jetzt das Anwesen?“ Eigentlich eine sehr naheliegende Frage, trotzdem kam sich Zoe unangemessen neugierig vor.
Leandro schaute sie an. Einen Moment lang loderte etwas in seinen blauen Augen auf, das auf eine unbändige Wut schließen ließ. Dann blickte er wieder ins Leere und ließ sich zurück in den Sessel sinken. „Egal, was Sie denken – ich bin stolz auf meine Herkunft“, sagte er. „Gerade deswegen schäme ich mich ja so sehr für das, was passiert ist.“
Zoe kam einen Schritt auf ihn zu. Und noch einen. „Was ist eigentlich passiert?“
„Die ganze Familie ist ruiniert“, erwiderte Leandro schlicht. Es klang eher sachlich als traurig. „Und zwar privat und gesellschaftlich.“
6. KAPITEL
Als hätte Leandro eine neue Erkenntnis gewonnen, stand er plötzlich schwungvoll auf, leerte sein Whiskeyglas in einem Zug und stellte sein Glas und die Flasche entschlossen weg.
Zoe beobachtete ihn schweigend. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Sobald er alles weggeräumt hatte, stellte er sich, mit dem Rücken zu ihr, an das Wohnzimmerfenster und starrte in die Nacht hinaus. Die Hände hatte er tief in die Hosentaschen geschoben.
„Als Junge habe ich dort draußen auf dem Rasen Fußball gespielt“, sagte er nach einer Weile. „Das war der Lieblingssport meines Vaters. Manchmal hat er auch mitgespielt.“ Immer noch klang seine Stimme an der Oberfläche unbewegt. Allerdings kam es Zoe so vor, als hörte sie auch einen wehmütigen Unterton heraus.
Sie trat näher an ihn heran, fühlte sich aber sehr unsicher dabei. „Und weiter?“
Leandro war offenbar so in seine Erinnerungen versunken, dass er Zoe gar nicht hörte. Vielleicht hatte er sie auch einfach nicht hören wollen. Statt auf ihre Frage zu antworten, sprach er einfach weiter: „Im Sommer haben meine Eltern auf der Terrasse Partys gefeiert. Meine Schwester und ich haben uns dann unter den Tischen versteckt und die Gespräche der Erwachsenen belauscht. Aber sie haben sich nie etwas besonders Interessantes erzählt. Es gab immer etwas Leckeres zu essen: Kuchen und Gebäck … Und wenn niemand hingesehen hat, haben wir uns einfach etwas davon genommen.“
Zoe betrachtete ihn eindringlich. Obwohl seine Augen hart und starr hinaus blickten, kam es ihr vor, als würde er innerlich lächeln.
„Und weiter?“, hakte sie erneut nach. Instinktiv wusste sie, dass das erst der Anfang der Geschichte war.
„ Natale … Weihnachten war hier immer wunderschön, richtig magisch, es war wie ein Kindheitsmärchen“, erzählte er. „In jedem Fenster standen Kerzen, im Wohnzimmer brannte ein Kaminfeuer, und um Mitternacht sind wir alle nach Lornetto zur Messe gegangen. Einmal hatten wir sogar Schnee. Ich habe versucht, einen Schneeball zu machen, aber das hat nicht geklappt. Es lag nur eine ganz dünne Schicht, als wäre der Boden mit Puderzucker überzogen. Da hat mein Vater versprochen, mir zu Weihnachten einen richtigen Schneeball zu schenken.“
Seufzend fuhr Leandro fort: „Und so war es dann auch. Ich habe keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Wahrscheinlich wurde einer unserer Bediensteten extra dafür mit einer Kühltruhe in die Berge geschickt. Jedenfalls hat mein Vater dann für mich eine Schatzsuche organisiert. Das Ziel war der Schneeball, der in der Tiefkühltruhe versteckt war.“
Leandro verstummte. Inzwischen stand Zoe direkt neben ihm.
In ihr zog sich das Herz zusammen. Er erzählte von Erlebnissen, wie sie sie selbst so gern gehabt hätte. Und an seiner Miene war deutlich zu erkennen, wie viel sie ihm bedeuteten. Aber irgendetwas musste passiert sein, das diesen Erinnerungen einen schalen Beigeschmack verlieh. Bloß was?
Diesmal mochte sie nicht noch einmal nachfragen. Er würde schon von alleine weitererzählen.
„Von diesen Erinnerungen möchte ich mich nie im Leben trennen“, sagte er tatsächlich. „Sie bedeuten mir viel mehr als meine Herkunft und diese ganze Familientradition.“ Jetzt drehte er sich zu ihr um. Sein Lächeln wirkte verbittert. „Ziemlich jämmerlich, oder?“
„Das finde ich gar nicht“, erwiderte Zoe leise. „Ich bin sehr neidisch auf Ihre schönen
Weitere Kostenlose Bücher