Julia Sommerliebe Band 23
Claire ein. „Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Frag mich nicht, warum ich es getan habe. Ich glaube nicht, dass es am Wein oder am Tanzen lag. Es war wohl … einfach Neugier, denke ich.“
Er zog die Augenbrauen hoch. „Neugier?“
Sie wandte den Blick ab. „Ich glaube, dass ich genau wie du wissen wollte, ob es noch genauso ist, wie … du weißt schon … wie es war, bevor es zwischen uns schiefgegangen ist.“
Antonio trat zu ihr und sah ihr ins Gesicht. „Wir können nicht ändern, was passiert ist. Unsere Vergangenheit wird immer da sein, ob unsere Verbindung zueinander bestehen bleibt oder nicht. Wir werden sie beide mit uns tragen, wohin wir in Zukunft auch gehen, und wer immer unsere Zukunft mit uns teilt, wird lernen müssen, sie als Teil unserer Persönlichkeit zu akzeptieren.“
Ihre Augen wurden feucht. „Halt mich, Antonio“, flüsterte sie und schlang ihm die Arme um die Taille. „Halt mich fest und mach, dass ich vergesse.“
Er drückte sie an sich, senkte das Kinn auf ihr seidiges Haar, atmete ihren blumigen Duft ein und spürte, wie sich sein Körper regte. Er begehrte sie erneut, aber ihm war bewusst, dass ihr Bedürfnis nach ihm diesmal einem Wunsch nach Trost entsprang, nicht nach sexueller Befriedigung. Er schloss die Augen und lauschte ihrem Atem, spürte das Heben und Senken ihrer Brust an seiner und ersehnte sich mit jeder Faser, sie auf das Bett zu legen und wieder zu besitzen.
Es passierte ihm nicht zum ersten Mal, dass er diese Impulse zügeln musste. In den Wochen nach dem Tod ihres Babys war er davon ausgegangen, dass er Claire am besten über den Kummer hinweghelfen konnte, wenn sie miteinander schliefen – um wieder Lebensmut in ihr zu wecken, um die Leidenschaft wieder aufflammen zu lassen, die vom ersten Moment ihrer Bekanntschaft an so ungehemmt loderte.
Doch Claire hatte so kalt gewirkt, so abschreckend wütend, als hätte er den Tod ihrer Tochter vorsätzlich herbeigeführt. Durch ihr Verhalten ihm gegenüber war sein Schuldgefühl immer mehr gewachsen, bis es ihn vergiftet und gezwungen hatte, sich zurückzuziehen.
Antonio streichelte ihr lockiges Haar. Sie weinte leise – so leise, dass er es fast nicht gemerkt hätte, wäre da nicht die Feuchtigkeit ihrer Tränen auf seiner nackten Brust gewesen. Er war an Tränen gewöhnt. Wie viele Patienten waren im Laufe der Jahre in seinen Behandlungszimmern zusammengebrochen …
Immer und immer wieder teilte er Taschentücher aus und sprach die Worte, durch die er die schwere Last zu lindern hoffte. Und meistens funktionierte es. Aber nicht bei Claire. Bei ihr hatten all seine Bemühungen versagt.
Im wurde bewusst, dass seine Gefühle zu ihr eine subtile Wandlung durchmachten, aber er war nicht bereit, sie näher zu analysieren. Er war darauf trainiert, die Dinge aus einer klinischen Perspektive zu betrachten. Oft genug hatte er erlebt, wie Gefühle in die Quere kamen und den Prozess der Entscheidungsfindung beeinträchtigten. Was er brauchte, war ein klarer Kopf, um sich durch die nächsten Monate zu lavieren.
Scheidung war momentan ein hässliches Wort für ihn. In seiner Familie war es schon immer ein hässliches Wort. Seine Eltern waren vom alten Schlag; ihr religiöser Glauben verlangte, dass die Ehe alle Hürden überdauerte. Bis dass der Tod euch scheidet.
Salvatore, sein Vater, hatte sein Testament nicht geändert, obwohl er jahrelang Gelegenheit dazu gehabt hätte, nachdem Claire aus der Familie verschwunden war. Die Vermutung lag nahe, dass er es nur aus Nachlässigkeit versäumt hatte. Wie viele andere Leute auch hatte er nicht mit einem so frühen Tod gerechnet. Das hatte Antonio bisher immer geglaubt.
Inzwischen fragte er sich aber, ob vielleicht nicht doch mehr dahintersteckte. Seit seiner späten Jugendzeit stand er seinen Eltern nicht besonders nahe. Seine Berufswahl hatte alles andere als Begeisterungsstürme ausgelöst; insofern fühlte er sich, als hätte er seine Familie im Stich gelassen, weil er nicht das für ihn vorgesehene Leben führte.
Er war mit ihrer Liebe aufgewachsen und sogar die lange Studienzeit über unterstützt worden, aber die Kluft zwischen ihnen schien mit jedem Jahr größer geworden zu sein.
Salvatore hatte Claires Verschwinden nur ein einziges Mal angesprochen. Antonio hatte ihm die Einmischung in sein Privatleben verübelt, und nach einer hitzigen Diskussion und anschließender monatelanger Blockadehaltung hatte sein Vater sich schließlich
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