Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
im August ausbrechenden, kurzen und grausamen russisch-georgischen Krieg. Und während Juschtschenko in Tiflis Präsident Saakaschwili die Hand drückte und ihn umarmte, hüllte sie sich in Schweigen, erwartete aber nicht ohne Grund, dass Putin im benachbarten Russland ihre Zurückhaltung zu schätzen wissen würde. Zu diesem Zweck entschloss sich Timoschenko, die man nicht als sonderlich kompromissbereit kennt, zu einem erstaunlichen Schritt: Sie begann mit der »Partei der Regionen« von Janukowitsch Gespräche über die Schaffung einer Großen Koalition. Doch daraus wurde nichts, Janukowitsch fürchtete sie und hatte kein Vertrauen zu ihr, und nie würde er ihr die vergangenen Erniedrigungen verzeihen, aber Lady Ju hatte ein anderes Ziel, und das erreichte sie mit Leichtigkeit. Bis Ende 2009 versuchte Präsident Juschtschenko nicht mehr, sie in den Ruhestand zu versetzen. Offensichtlich war sie nicht nur zum Barrikadenkampf und zum Einsatz populistischer Mittel fähig, um lokale Siege zu erringen. Abgehärtet durch politische Schlachten, war sie zu einer glänzenden Strategin geworden, die ihre Position auf viele Schritte im Voraus zu berechnen wusste. Und hätte Timoschenko sich auf diese Schritte beschränkt und dabei den schwerfälligen Janukowitsch ein wenig in den Hintergrund gedrängt (Juschtschenko hätte nicht noch einmal wiedergewählt werden können), dann hätte sie bei den Präsidentschaftswahlen 2010 alle Chancen auf einen Sieg gehabt.
Doch das Schicksal wollte es anders. Julia Timoschenko war es selbst, die dem lahmen Schicksal auf die Sprünge half. Der Wunsch, die Firma »RosUkrEnergo«, den »Futtertrog für Diebe«, um jeden Preis aus dem Land zu vertreiben, war für sie zu einer fixen Idee geworden. Der Fluch des Gases im Leben der Ukraine wurde zum Fluch für Timoschenkos politische Karriere. Eigentlich war sie nach Moskau zur Vertragsunterzeichnung mit Putin geeilt, um »RosUkrEnergo« aus der Zulieferstruktur mit Russland zu verbannen. Man meinte, Dmytro Firtasch, Milliardär und Miteigentümer von »RosUkrEnergo«, sei Juschtschenkos »Portemonnaie«, aber selbst wenn das der Wahrheit entsprochen hätte – war es wirklich nötig gewesen, diesen zweifelhaften Vertrag mit Russland abzuschließen und dafür unvermeidlich Prügel zu beziehen? Hatte es sich dafür gelohnt, die eigene politische Zukunft und Freiheit aufs Spiel zu setzen?
Ein Augenzeuge berichtete, wie Julia Timoschenko am 10. Februar 2010 beim Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung auftrat und über den Vertragsschluss Bericht erstattete. Eine Stunde lang schimpfte Juschtschenko über diesen »Knebelvertrag«. Dann übergab er das Wort an die Ministerpräsidentin und fügte hinzu, sie habe 15 Minuten.
Die Gasprinzessin schaffte es in 15 Sekunden. »Das hier ist keine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, sondern eine Hexenküche zur Deckung der Korruption. Ich warne Sie: Wenn der Rat mit seiner Entscheidung ›RosUkrEnergo‹ zurückholt, dann wird es eine Klage vor Gericht geben. Das ist alles von meiner Seite«, sagte Timoschenko.
»Julia Wladimirowna, ich danke Ihnen für diesen gehaltvollen Vortrag«, zog der Präsident den Schlussstrich. Dann stritten sie lange miteinander: Juschtschenko, Timoschenko, der erste Stellvertreter der Leitung von »Naftagas«, Didenko, die Leiter der Außen- und der militärischen Aufklärung.
»Der von Ihnen unterschriebene Vertrag ist eine Kapitulation. Sie sind eine Stümperin!«, brauste der Präsident auf. Während die Chefs der Sicherheitsdienste Bericht erstatteten, ging Lady Ju zur Vortreppe des Präsidentensekretariats hinaus und teilte der Presse derb mit, die oberste Leitung habe die Absicht, zu korrupten Strukturen zurückzukehren. Als sie zurückkam, wussten bereits alle Versammelten von dem, was sie gesagt hatte. Die Polemik hatte sich aufs Äußerste zugespitzt. Juschtschenko sprach von einem »schmutzigen Spiel«, von »Eroberungsgier« und davon, dass »für dieses Abenteuer die gesamte Ukraine bezahlen« müsse. Auf einmal ergriff Inna Bogoslowskaja das Wort, die als Leiterin der parlamentarischen Untersuchungskommission zu der Versammlung geladen worden war. Nachdem sie Timoschenko eine »Diebin und Schwindlerin« genannt hatte, sprach sie die entscheidenden Worte: »Frau Timoschenko … gehört hinter Gitter!«
Als habe sie in die Zukunft geschaut.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Gefängnis und Freiheit
Am 11. Oktober 2011 wird Julia Timoschenko das Urteil
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