Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Preisverhandlungen zwischen Kiew und Moskau seinerzeit verlaufen waren. Wie der Chef der ukrainischen Naftagas, Oleg Dubin, bei einem Treffen mit Juschtschenko dargelegt hatte, die russische Seite sei bereit, sich auf einen Gaspreis von 250 Dollar für das nächste Jahr einzulassen, wobei »man das Gefühl haben konnte, der Preis kann auf 235 Dollar gedrückt werden«. Davon, wie Timoschenko die Initiative an sich gerissen und nach Moskau gefahren war, obwohl Viktor Juschtschenko sie persönlich darum gebeten hatte, sich nicht in diese Angelegenheit einzumischen. Wie sie mit dem unterschriebenen Vertrag zurückgekommen war und sich geweigert hatte, den Präsidenten über den neuen Preis zu informieren.
»Der Gaspreis ist hervorragend!«, zitierte Juschtschenko die Antwort von Lady Ju auf seine hartnäckigen Fragen. »Als ich sie bat, mir den Vertrag zu lesen zu geben, weigerte sich Timoschenko«, setzte der Ex-Präsident seine Erzählung fort. »Aber dann, als Julia Wladimirowna angeblich zu weiteren Verhandlungen mit Putin gefahren war, erhielt die Präsidentenadministration auf wunderliche Weise ein Fax mit dem Dokument. Wie wir dann sahen, war es der Gasvertrag, in dem ein Preis von 450 Dollar festgelegt worden war.« Also fast doppelt so viel, wie die ukrainischen Verhandlungsführer erwartet hatten.
Timoschenko und ihre Verteidiger stellten dem Zeugen keine einzige Frage. »Juschtschenko hat keine Aussage gemacht, sondern den Teilnehmern des Gerichtsprozesses eine Vorlesung gehalten«, kommentierte kurz darauf einer ihrer Anwälte diese Episode. Und die Gasprinzessin reagierte noch trockener: »Ich möchte nicht, dass die gegenseitige Feindseligkeit zwischen dem Ex-Präsidenten und der Ex-Ministerpräsidentin vor aller Augen ausgetragen wird.«
Als Juschtschenko das Gerichtsgebäude verließ und aus dem Innenhof gefahren kam, wurde sein Auto mit Eiern beworfen.
Recht hatten offensichtlich beide: sowohl Viktor Juschtschenko, der dem Gericht mitteilte, wie Julia Timoschenko ihn als amtierenden Präsidenten aus dem Verhandlungsprozess praktisch ausgeschlossen hatte, als auch Timoschenko, die von einer »gegenseitigen Feindseligkeit« gesprochen hatte. Immer war er den politischen Prozessen ein wenig hinterhergehinkt und oft fehlte ihm der Überblick. Er hasste sie. Und sie verachtete ihn.
Damals hatten die Auseinandersetzungen ums Gas innerhalb des Dreiecks Timoschenko – Juschtschenko – Putin geendet, so wie sie begonnen hatten; der dritte Präsident der Ukraine hatte bereits mit Ministerpräsident Viktor Janukowitsch zusammenarbeiten und ausprobieren können, wie man mit vereinten Kräften Lady Ju ausspielen konnte. Daraus wurde jedoch nichts, und im April 2007 löste der Präsident die Rada auf, nachdem er sich gerade noch aus den erstickenden Umarmungen seines Namensvetters, dem Ministerpräsidenten, hatte befreien können. Die Neuwahlen, die am 30. September desselben Jahres stattfanden, brachten dem Block Julia Timoschenko und dem Block »Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung« von Viktor Juschtschenko den Sieg, und wieder musste er seine ewige Kampfgefährtin zur Ministerpräsidentin ernennen.
Wie sich herausstellte, war alles umsonst gewesen: sowohl der Versuch, sich 2006 mit der Schaffung des »Universals der nationalen Einheit«, den Lady Ju nicht hatte unterschreiben wollen, über die ukrainischen Eliten hinwegzusetzen, als auch die Auflösung der Rada und die Neuwahlen. Die Verteilung der politischen Kräfte im Land hatte sich nach all diesen Aktionen kein bisschen verändert. Immer noch stand dasselbe Schachbrett inmitten der Ukraine, der einsame Juschtschenko hatte die Figuren neu aufgestellt, und wenn Timoschenko das Spiel verließ, dann sah er das schmerzlich bekannte Gesicht Janukowitschs vor sich. Und wenn er sich von ihm verabschiedete, dann nahm Timoschenko ihm gegenüber Platz.
Ihre zweite Amtszeit als Ministerpräsidentin widmete sie nicht nur ihrer unermüdlichen, strapazierenden, wie immer pausenlosen Arbeit, der Festigung ihrer Macht und den Auseinandersetzungen mit Russland um das Gas, sondern auch der Vernichtung ihrer Gegner. Vor allem ging es um Janukowitsch und seine Regierung. Wenn Lady Ju laut über ihren Vorgänger nachdachte, sparte sie nicht an Ausschmückungen und Schmähwörtern. Nach ihren Worten seien die 16 Monate Amtszeit von Viktor Janukowitsch als Regierungschef eine vollendete »Gaunerei und Diebstahl im allergrößten Maßstab« gewesen. Er und seine
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