Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
»Berkut«, indem sie den Protestierenden vor dem Gerichtsgebäude den Weg versperrten, das Tor geschlossen, durch das man auf Kiews zentralen Boulevard Kreschtschatik gelangen kann. Als Timoschenko den Gefangenentransporter besteigt, umringen etwa 300 Milizionäre das Fahrzeug. Der Gefangenentransporter setzt sich in Bewegung, fährt aus dem Torbogen und zwängt sich durch die Menge. Zu diesem Zeitpunkt haben Timoschenkos Anhänger bereits die Metallumzäunungen des Petschersker Bezirksgerichts demontiert und auf die Fahrbahn geworfen, um die Durchfahrt zu behindern. Als sich das Fahrzeug mit einem dreifachen Ring von »Berkut«-Einheiten langsam über den Kreschtschatik bewegt, kommt es zu einer regelrechten Schlägerei. Die Tollkühnsten von ihnen versuchen sogar, sich vor die Räder des Fahrzeugs zu legen, werden aber von Milizionären weggezerrt. Durch das vergitterte Fenster kann Julia Timoschenko einen Abschiedsblick auf den Maidan werfen, bevor der Gefangenentransporter das Stadtzentrum verlässt.
Die drei Arreste sind wie drei Abschnitte ihres Lebens. Einzigartig ist die Art dieser Arreste. Stets ist sie aufgrund strafrechtlicher Tatvorwürfe inhaftiert worden. Und jedes Mal war ihr politisches Wirken der eigentliche Grund.
Im März 1995 war ihr nicht viel Zeit geblieben, um einen Schreck zu bekommen. Die Ereignisse hatten sich überschlagen. Beim Einsteigen in das Flugzeug von Saporischja nach Moskau fanden Zollbeamte bei ihr unangemeldete Valuta in einer Menge, die für eine große Bestechung gereicht hätte, und noch mehr ukrainisches Geld. Es wurde ein Protokoll aufgesetzt. Einige Tage später verhaftete man Julia Timoschenko. Dennoch hegte die Themis von Saporischja gegen sie keine sonderlichen Ambitionen. Die Fragen kamen von der Kiewer Obrigkeit – und richteten sich an ihren damaligen Protektor Pawlo Lasarenko, den »Paten« von Dnipropetrowsk. Lasarenko hatte den Präsidentenposten im Auge, was bei Präsident Leonid Kutschma verständlicherweise Widerstand auslöste. Die junge Dame wurde, nachdem sie ihr Gepäck aufgegeben hatte, das Opfer knallharter Männerspiele. Ihr Protektor holte sie allerdings einigermaßen schnell wieder aus dem Untersuchungsgefängnis heraus.
Die Strafsache, die zu ihrer Verhaftung im Februar 2001 führte, war um einiges ernster. Was waren da schon die 26 000 Dollar, die der Zoll von Saporischja bei ihr gefunden hatte! Diesmal wurde sie zweier Vergehen beschuldigt: Schmuggel und Steuerhinterziehung. In Sachen Schmuggel zählte die Generalstaatsanwaltschaft mehr als eine Milliarde Dollar zusammen – eine astronomische Summe für die Mitte der Neunzigerjahre bettelarme Ukraine. Lasarenko hatte mit dieser Sache nichts mehr zu tun. Die Gasprinzessin persönlich, und nicht der nach Amerika entschwundene »Pate«, war nun die intime Todfeindin des Präsidenten. Entlassen vom Posten des Vizepremiers, trat sie feurig für »Eine Ukraine ohne Kutschma« ein. Sie schuf ein Forum zur nationalen Rettung – den Vorreiter für die orangene Unabhängigkeitsbewegung. Sie brach einen Streit vom Zaun im Zusammenhang mit der Ermordung des Journalisten Gongadse. Man begann, sie auch international wahrzunehmen. Man erzählte sich, Kutschma habe sich 48 Stunden vor ihrer Verhaftung – gewissermaßen als lebendes Pfand – endgültig dazu entschlossen, Timoschenko festzusetzen, als er in Dnipropetrowsk auf Putin getroffen sei. Aber sie hatte keine Angst mehr vor dem Gefängnis, sie wusste genau, dass aus dem Untersuchungsgefängnis der Weg an die Macht für sie am kürzesten sein würde. Sie war davon überzeugt, dass sie ein noch stärkerer Protektor als Lasarenko herausholen würde – das ukrainische Volk selbst. Und sie hatte sich nicht geirrt.
Im Prozess von 2011 ist indessen von 100 Milliarden Griwna die Rede, und Timoschenko wird des Landesverrats beschuldigt. »Verräterisch« sei der Vertrag über die Lieferung russischen Gases in die Ukraine, den sie als Ministerpräsidentin unterzeichnet hat. Für russisches Gas werden von der Ukraine nun überhöhte Zahlungen erwartet, höhere Summen, als selbst deutsche Verbraucher an Gazprom überweisen. Präsident Janukowitsch, der das Gefängnis nicht nur vom Hörensagen kennt, ging um einiges entschlossener vor als Kutschma. Er träumte tatsächlich davon, Timoschenko hinter Gitter zu bringen, und zwar für lange, so wie Putin Chodorkowski hinter Gitter gebracht hatte. Im Unterschied zu Kutschma, der 2001 nicht die Gefahr erkannt
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