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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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Provinz.
    Aber Fleisch und Wurst waren nicht die einzigen Mangelwaren im Lande. Es fehlte fast an allem, was der Mensch braucht – an Schuhen, Toilettenpapier, Kleidung, Tonbandgeräten oder Medikamenten. Vieles Notwendige war für einen Sowjetbürger nur zu bekommen, wenn er Beziehungen hatte, bereit war, kräftig draufzuzahlen oder sich bei einer Verkäuferin lieb Kind zu machen.
    Dazu kursierte im Imperium ein Witz. Frage: Kann ein Hase von der Heldenstadt Brest bis zur Heldenstadt Moskau laufen? Antwort: Nein. In der Heldenstadt Tula wird er gefangen und aufgegessen.
    In Dnipropetrowsk gab es also etwas mehr Wurst und Toilettenpapier als im Landesdurchschnitt, weshalb die Stadt sich für wohlhabend hielt. Der Preis dieses relativen Wohlstandes war kein Geheimnis: Die Liebe und Sorge des sentimentalen Generalsekretärs um seine engere Heimat erklärte sich daraus, dass die Stadt für den Krieg arbeitete.
    In ihrem Zentrum dröhnte dumpf die größte Raketenschmiede des Landes. Das Werk »Juschmasch« stammte aus der Zeit, als Breschnew hier dem Gebietskomitee der Partei vorsaß. Es stellte ballistische Raketen für das Militär und Weltraumraketen her. Hier stand die Wiege der gesamten SS-Serie sowie der Trägerraketen »Kosmos«, »Interkosmos«, »Zyklon-2«, »Zyklon-3« und »Zenit«. Ihr ganzer Stolz war der Raketenkomplex »SS-18«, der mehrere atomare Sprengköpfe tragen konnte. Dnipropetrowsk stellte erstmalig in der Welt künstliche Erdsatelliten in Serie her.
    Zulieferer von Juschmasch waren Projektierungsinstitute, Hochschulen und Hunderte Betriebe. Wie überall im Lande stellte die zivile Produktion für diese Giganten der Rüstungsindustrie lediglich ein Nebengewerbe dar. Außer Raketen kamen von Juschmasch Traktoren, Omnibusse und Maschinen für die Lebensmittelindustrie. Dazu Fahrräder und Regenschirme.
    Wenn es zwischen dem die Stadt beherrschenden Juschmasch und den Partei-Oberen am Ort oder in Kiew Konflikte gab, behielt immer das Werk die Oberhand. Die Direktoren, die zum militärisch-industriellen Komplex gehörten, verachteten die Eliten der Stadt und der Ukraine gründlich und zeigten ihnen, wenn es sich ergab, wer der Herr im Hause war. Ihre Sonderstellung in der Ukraine und der UdSSR, die sich auf keinen Rechtsakt gründete, war für alle offensichtlich. Hinter ihnen stand Breschnew.
    Der Generalsekretär kämpfte auf hohen internationalen Tribünen unablässig für den Weltfrieden. Seine geliebte Heimatstadt dagegen arbeitete für den Atomkrieg. Das war kein Widerspruch. Zumindest nicht für jene, die sich über gar nichts wunderten, weil sie in der UdSSR lebten. Was sollte man sich auch wundern, wenn Karrieren in Partei und Wirtschaft, die in Dnipropetrowsk begannen, sich in Moskau fortsetzten, ohne je Kiew passiert zu haben? Konflikte endeten daher auch immer gleich – mit dem Sieg der allmächtigen Kriegspartei, die in den Fabriken von Dnipropetrowsk Gestalt angenommen hatte.
    Als Gigant der Raketen, des Geistes und der Industrie war Dnipropetrowsk, an den ersten Stromschnellen des mächtigen Dnepr gelegen, mit den breiten Straßen und weiten Plätzen imperialen Stils auf seine Weise schön. Bei den Einwohnern hieß die Stadt wie der Fluss kurz Dnepr. Der lag zu ihren Füßen wie ein aufgeschlagenes Buch. Der große Gogol hatte ihn besungen, und in der UdSSR konnte jeder Schüler vom »herrlichen Dnepr bei stillem Wetter« schwärmen, »dessen Mitte kaum ein Vogel erreicht« …
    Das goldene Zeitalter von Dnipropetrowsk währte fast 20 Jahre, bis das Herz des treuen Leninisten im November 1982 aufhörte zu schlagen. Nun wurden andere Saiten aufgezogen. Streng, gefühllos, ja sogar verletzend ging man mit dem Gedenken an Leonid Iljitsch um.
    In der Breschnew-Zeit wächst Lady Ju heran.
    Als er in der UdSSR zur Macht kommt, ist sie vier Jahre alt. Acht in jenem August, da die Truppen des Warschauer Vertrages Prag besetzen. 19, als der Krieg in Afghanistan beginnt, in dem ihre Altersgenossen sterben. Die 22-jährige Studentin Julia Timoschenko beweint gemeinsam mit dem ganzen Sowjetvolk den Tod des teuren Leonid Breschnew.
    Tat sie das wirklich? Lokalpatriotismus, der sich auf den ersten Mann im Staate bezog, war damals in Mode. Aber kaum jemand, von einigen persönlichen Freunden abgesehen, empfand beim Ableben des Generalsekretärs echte Trauer. Eher kam Sorge auf. Was sollte aus dem Land werden? Allerdings klang diese Frage anders als im Jahre 1953, da das Volk von Stalin Abschied

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