Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Nikolaj Asarow, der Timoschenkos Arbeitszimmer unmittelbar nach Janukowitschs Sieg bezogen hat.
»Die von Timoschenko unterzeichneten Verträge über die Lieferung von russischem Gas führen das Land in den Bankrott«, beginnt er. »Die Vereinbarungen waren ein Verrat am Land und seinen Bürgern. Ich vermute, Timoschenkos Ziel war ein Wahlsieg.«
Nachdem Timoschenko die Beschuldigung schweigend und mit einem Lächeln angehört hat, wendet sie sich an das Gericht: »Ich habe nichts von dem verstanden, was Asarow gesagt hat. Ich verstehe den ukrainischen Premierminister nicht, er spricht Russisch. Und ich verstehe keine andere Sprache außer der ukrainischen.«
Das ist ein Schlag ins Gesicht. Asarows dürftige Kenntnisse der ukrainischen Sprache sind schon lange Thema unzähliger Witze im ganzen Land. Ihre Offensive ausweitend, fordert Timoschenko, man möge einen Dolmetscher zum Prozess hinzuziehen. Der Staatsanwalt protestiert, und der durch den endlosen Spott ermüdete Richter Kirejew fängt an herumzukreischen. Erneut fordert er sie auf, das Gericht nicht zu beleidigen, und erneut bekommt er nur einen abschätzig-beißenden Blick zur Antwort.
Timoschenko wendet sich dem Zeugen zu. Jetzt will sie etwas über Asarows Bildungshintergrund wissen. Der Premierminister läuft dunkelrot an: »Ich bin Geophysiker, habe promoviert, bin Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Aber ich bin seit 20 Jahren in der Wirtschaft. Und Sie haben unsere Wirtschaft dermaßen zusammenbrechen lassen, wie es noch in keinem Land der Welt geschehen ist! Für uns ist wichtig, dass die Ukraine Gas hat und keine Probleme. Um das zu erreichen, müssen wir vor allem Timoschenko vom Amt des Premiers fernhalten.«
Timoschenko hat erreicht, was sie wollte. Asarow ist persönlich geworden. Aber auf diesem Feld hat das Akademiemitglied nicht die geringste Chance: »Erzählen Sie uns lieber davon, wie Sie Ihrem Sohn jeden Tag Staatsgelder überweisen. In Sachen Bestechung haben Sie langjährige Erfahrungen! Nur durch ein Wunder mussten Sie sich nicht für Ihr Vorgehen im Jahr 2005 verantworten, weil Juschtschenko Ihnen verziehen hat. Erzählen Sie doch mal, wie die Firma ›RosUkrEnergo‹ den Zutritt zum ukrainischen Gasmarkt bekommen hat. Und antworten Sie doch bitte auf Ukrainisch.«
Als sich das Gericht zur Beratung zurückzieht, taucht auf Timoschenkos Seite bei Twitter folgender Kommentar auf: »Danach zu urteilen, was Asarow von sich gibt, braucht er keine Vernehmung, sondern ein MRT, dann eine Massage, Lindenblütentee und absolute Ruhe J. Bereits in der Wortverbindung ›Asarow wird vernommen‹ liegt etwas Positives und Ermutigendes. Es wird nicht das letzte Mal sein, denke ich JJJ. Ein bisschen Vernehmung noch, und Kirejew wird Asarow um Vergebung und seinen Segen bitten … Gut, dass Kirejew die ›Kutte‹ trägt und nicht Asarow.«
Kaum ist der Gefangenentransporter hinter den Toren des Lukjaniwska-Gefängnisses verschwunden, taucht Julia Timoschenko persönlich im Äther auf. »Heute bin ich noch in Freiheit«, wendet sie sich in der Fernsehaufzeichnung, die vor ihrer Verhaftung gemacht wurde, an das Land und die Welt, »aber morgen werde ich bereits im Gefängnis sein. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, und ich weiß ebenfalls, dass ich noch gestärkter zu Ihnen zurückkommen werde. Außer Janukowitschs bestechlichen Gerichten gibt es noch andere, höhere Gerichte. Es gibt den Europäischen Gerichtshof, vor dem meine politische Unschuld bewiesen werden wird. Und es gibt das Gottesgericht, vor dem einen keine Macht und kein Schmiergeld schützt.«
Das Gottesgericht? Der Europäische Gerichtshof? Das Volk?
Im Februar 2001, als sie zum ersten Mal ins Lukjaniwska-Gefängnis kam, symbolisierte Julia Timoschenko eine glückliche, unbekannte Ukraine – ohne Kutschma und seine »Dnipropetrowsker Mafia«, derer alle überdrüssig waren. Es sollte eine Ukraine der erneuerten Eliten sein, die eine europäische Zivilisation anstrebt. Jeanne d’Arc in ihrem Kerker verkörperte diesen Zorn und diesen Traum.
Leider sind von jener Ukraine nur Träume und Erinnerungen geblieben, die vorwiegend bitter sind. Die Revolution der Nomenklatura, die auf dem Platz der Unabhängigkeit, Maidan, begann, schlug in ein langjähriges Ränkespiel der »orangenen« Anführer um und mündete in den ruhmlosen Abgang Juschtschenkos und den Sieg Janukowitschs, der aus der politischen Sphäre fast alle entfernte, die ihm 2004 auf seinem Weg zur Macht
Weitere Kostenlose Bücher