Julia
Spaß gemacht. Alle hatten Angst vor dem alten Marescotti. Außer natürlich Romeo.«
Beinahe hätte ich mein Weinglas umgestoßen. »Du meinst, der Romeo? Der, von dem mein Cousin Peppo meint, dass er den Cencio gestohlen hat?« Nachdem Alessandro mir keine Antwort gab, fuhr ich in ruhigerem Ton fort: »Ich verstehe. So hängt das also zusammen. Ihr wart Jugendfreunde.«
Er schnitt eine Grimasse. »Nicht gerade Freunde.« Als er merkte, dass ich vor Neugier fast platzte, reichte er mir rasch die Speisekarte. »Hier. Höchste Zeit, an was Süßes zu denken.«
Während wir als Nachspeise Mandelkekse - Cantucci - in Vin Santo tauchten, versuchte ich das Gespräch erneut auf das Thema Romeo zu bringen, doch Alessandro ging nicht darauf ein. Stattdessen fragte er mich nach meiner eigenen Kindheit und wollte außerdem wissen, was der Auslöser für mein Engagement in der Friedensbewegung gewesen war. »Komm schon«, sagte er, sichtlich amüsiert über meinen missmutigen Gesichtsausdruck, »das kann doch nicht alles die Schuld deiner Schwester sein.«
»Das habe ich nie behauptet. Wir setzen einfach sehr unterschiedliche Prioritäten.«
»Lass mich raten ...« Er schob die Kekse zu mir herüber. »Deine Schwester ist beim Militär? Sie war im Irak?«
»Ha!« Ich nahm mir noch ein paar Cantucci. »Janice würde den Irak nicht mal auf der Landkarte finden. Sie ist der Meinung, im Leben geht es nur darum ... Spaß zu haben.«
»Sie sollte sich was schämen!« Alessandro schüttelte den Kopf. »Ganz schön frech, das Leben einfach zu genießen.«
Ich stieß ein entrüstetes Schnauben aus. »Ich habe ja gewusst, dass du es nicht verstehen wirst! Als wir ...«
»Ich verstehe sehr wohl«, fiel er mir ins Wort. »Sie hat Spaß, deswegen kannst du keinen Spaß haben. Sie genießt das Leben, deswegen darfst du es nicht genießen. Zu schade, dass dieses Gesetz auf ewig in Stein gemeißelt ist.«
»Hör zu ...« Nervös schwenkte ich mein leeres Glas. Ich wollte ihm auf keinen Fall recht geben. »Für Janice Jacobs ist der wichtigste Mensch auf der Welt Janice Jacobs. Sie nimmt auf niemanden Rücksicht. Hauptsache, sie selbst kann punkten. Janice ist die Sorte Mensch, die ...« Abrupt hielt ich inne, weil mir plötzlich klar wurde, dass auch ich an diesem schönen Abend nicht die hässliche Vergangenheit heraufbeschwören wollte.
»Und was ist mit Julie Jacobs?« Alessandro schenkte mir nach. »Wer ist denn für sie der wichtigste Mensch auf der Welt? Lass mich raten.« Er sah mich lächelnd an. »Julie Jacobs möchte die Welt retten und alle glücklich machen ...«
»Aber bei diesem Versuch macht sie alle unglücklich«, fiel ich ihm ins Wort, um ihm den Faden seiner Geschichte zu entreißen, ehe er mich weiter damit belehren konnte, »einschließlich sich selbst. Ich weiß, was du meinst. Du bist der Meinung, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt, und dass man den Kriegen auf der Welt kein Ende setzt, indem man kleinen Meerjungfrauen den Kopf absägt.«
»Warum hast du es dann getan?«
»Habe ich doch gar nicht! Das war alles ganz anders geplant.« Ich warf einen Blick zu ihm hinüber, um herauszufinden, ob es vielleicht möglich wäre, gleich wieder zu vergessen, dass ich die kleine Meerjungfrau erwähnt hatte, und zu einem schöneren Thema überzuwechseln. Aber das ging nicht. Obwohl er sogar ansatzweise lächelte, sagten mir seine Augen, dass sich dieser Themenpunkt nicht länger aufschieben ließ.
»Also gut«, seufzte ich, »das war folgendermaßen: Ich war der Meinung, wir würden ihr Armeekleidung anziehen, und die dänischen Presseleute würden kommen und Fotos machen.«
»Was sie ja auch getan haben.«
»Ich weiß! Aber ich hatte nie die Absicht, ihr den Kopf abzuschneiden.«
»Du hattest die Säge in der Hand.«
»Es war ein Unfall!« Ich vergrub das Gesicht in den Händen. »Wir hatten nicht damit gerechnet, dass sie so winzig sein würde. Es ist eine ganz kleine Statue. Deswegen passten die Klamotten nicht. Da zog plötzlich einer - irgend so ein Schwachkopf - eine Säge heraus ...« Ich konnte nicht weitersprechen.
Wir saßen einen Moment schweigend da, bis ich schließlich vorsichtig zwischen meinen Finger hindurchlugte, um zu sehen, ob er immer noch eine angewiderte Miene machte. Was er nicht tat. Ganz im Gegenteil, er wirkte sogar leicht amüsiert. Obwohl er nicht richtig lächelte, blitzte aus seinen Augen so ein gewisser Funke.
»Was ist daran so lustig?«, brummte ich.
»Du«, antwortete
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