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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Gewürzen bestreut waren. Hier waren die Teller voll, und die Gewürze da, wo sie hingehörten: im Essen.
    An den meisten Tischen saßen fünf oder sechs Leute, die alle lachten oder sich angeregt unterhielten, ohne sich auch nur im Geringsten darum zu scheren, ob sie zu laut waren oder die weißen Tischdecken bekleckerten. Nun wusste ich, warum Alessandro unbedingt in ein Lokal wollte, wo ihn niemand kannte. So, wie die Leute hier mit ihren Freunden tafelten und jeden Bekannten samt Hund einluden, sich zu ihnen zu gesellen - und ein großes Theater veranstalteten, wenn sich jemand weigerte -, war es in Siena schwierig, zu zweit ein ruhiges Abendessen zu genießen. Während wir an all den Leuten vorbeisteuerten und uns in eine Ecke zurückzogen, wo wir einigermaßen ungestört waren, entging mir nicht, dass Alessandro sichtlich erleichtert wirkte, keine bekannten Gesichter zu entdecken.
    Sobald wir saßen, griff er in seine Jacke, zog Romeos Dolch heraus und legte ihn zwischen uns auf den Tisch. »Wie es scheint«, sagte er und sprach die ungewohnten Worte dann sehr langsam, wenn nicht sogar widerwillig aus, »schulde ich Ihnen eine Entschuldigung.«
    »Oh, keine Sorge ...« - ich steckte die Nase in eine Speisekarte, damit er mein süffisantes Grinsen nicht sah, »Sie brauchen sich nicht allzu sehr anzustrengen. Sie kennen ja meine Akte. Ich stelle nach wie vor eine Bedrohung für die Gesellschaft dar.«
    Er schaffte es noch immer nicht, einfach mit einem Lachen über so etwas hinwegzugehen. Eine Weile saßen wir schweigend da und taten beide, als studierten wir die Karte, während wir vor lauter Verlegenheit abwechselnd mit dem Dolch herumspielten.
    Erst, als wir eine Flasche Prosecco und einen Teller Antipasti vor uns stehen hatten, lächelte Alessandro - wenn auch entschuldigend - und hob sein Glas. »Ich hoffe, diesmal wird es ein schönerer Abend. Selbes Getränk, neue Flasche.«
    »Wenn wir es bis zum Hauptgang schaffen, wäre das schon mal ein deutlicher Fortschritt«, entgegnete ich, während ich mit ihm anstieß. »Und wenn es sich vermeiden lässt, dass ich hinterher barfuß durch die Straßen gejagt werde, würde ich sagen, dass der heutige Abend den letzten bei weitem übertrifft.«
    Er verzog das Gesicht. »Warum sind Sie denn nicht zurück zum Restaurant gekommen?«
    »Tut mir leid«, lachte ich, »aber mir war die Gesellschaft meines schmierigen Freundes Bruno einfach lieber als die Ihre. Wenigstens hat er mir von Anfang an geglaubt, dass ich Giulietta bin.«
    Alessandro wandte verlegen den Blick ab. Im Gegensatz zu mir wusste er die Komik der Situation wohl nicht zu schätzen. Dabei besaß er durchaus Humor - und dazu ein gehöriges Maß an Sarkasmus -, doch im Moment fand er es ganz offensichtlich gar nicht lustig, an sein unfeines Benehmen erinnert zu werden.
    »Als ich dreizehn war«, sagte er schließlich und runzelte dabei leicht die Stirn, »verbrachte ich den Sommer bei meinen Großeltern hier in Siena. Sie hatten einen schönen Bauernhof mit Weinbergen, Pferden und einem alten Brunnen. Eines Tages bekamen sie Besuch. Von einer amerikanischen Dame namens Diane Tolomei und ihren beiden kleinen Töchtern, Giulietta und Giannozza ...«
    »Moment mal!«, unterbrach ich ihn. »Soll das heißen, das war ich? Wir sind uns als Kinder schon mal begegnet? Dann wird es ja wohl höchste Zeit, dass wir das mit dem >Sie< sein lassen!«
    Er betrachtete mich mit einem eigenartigen, ein wenig schiefen Lächeln. »Ja. Du trugst damals - wie sagt man? - eine Windel.« Ohne auf meinen Protest zu achten, fuhr er fort: »Meine Großmutter sagte zu mir, ich solle mit dir und deiner Schwester spielen, während die Erwachsenen sich unterhielten, also habe ich euch mit hinaus in die Scheune genommen, um euch die Pferde zu zeigen. Unglücklicherweise hast du es plötzlich mit der Angst zu tun bekommen und bist in eine Heugabel gefallen ...« Kopfschüttelnd hielt er inne. Offenbar sah er die Szene vor seinem geistigen Auge wieder genau vor sich. »Es war schrecklich. Du hast geschrien, und überall war Blut. Ich habe dich in die Küche getragen, aber du hast die ganze Zeit nach mir getreten und geweint, und deine Mutter sah mich an, als hätte ich dich absichtlich gequält. Zum Glück wusste meine Großmutter, was zu tun war. Sie drückte dir ein großes Eis in die Hand und verarztete die Wunde, wie sie es schon so viele Male bei ihren Kindern und Enkelkindern getan hatte.« Alessandro trank einen Schluck Prosecco, ehe

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