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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Alessandro. »Du bist wirklich eine Tolomei. Erinnerst du dich? ... Ich will barbarisch zu Werke gehn. Hab ich's mit den Bedienten erst ausgefochten, so will ich mir die Mädchen vornehmen. Sie sollen die Spitze meines Degens fühlen, bis er stumpf wird ... « Als er sah, dass ich das Zitat erkannte, lächelte er endlich. »Willst du den Hals ihnen durchtrennen? ... Ja, den Hals oder die Jungfernschaft. Versteh es, wie du willst.«
    Ich ließ die Hände in den Schoß sinken. Einerseits war ich über den Themenwechsel erleichtert, andererseits auch peinlich berührt. »Du überraschst mich. Mir war nicht klar, dass du Romeo und Julia auswendig kannst.«
    Er lächelte. »Nur die Kampfszenen. Ich hoffe, du bist jetzt nicht enttäuscht.«
    Da ich nicht ganz sicher war, ob er mit mir flirtete oder sich nur über mich lustig machte, fing ich vor Verlegenheit wieder an, mit dem Dolch herumzuspielen. »Seltsamerweise«, sagte ich, »kenne ich das ganze Stück auswendig. Schon immer. Noch ehe ich überhaupt gewusst habe, worum es sich dabei handelt. Es war wie eine Stimme in meinem Kopf ...« Ich lachte. »Keine Ahnung, warum ich dir das erzähle.«
    »Weil«, antwortete Alessandro, als läge die Antwort auf der Hand, »du gerade erst entdeckst, wer du eigentlich bist. Und alles endlich einen Sinn ergibt. Alles, was du getan hast, alles, wogegen du dich entschieden hast ... kannst du jetzt erst richtig verstehen. Man nennt das Schicksal.«
    Als ich hochblickte, stellte ich fest, dass er nicht mich ansah, sondern den Dolch. »Und du?«, fragte ich. »Hast du dein eigenes Schicksal schon entdeckt?«
    Er atmete hörbar ein. »Das kenne ich schon seit jeher. Und wenn ich es vergesse, erinnert mich Eva Maria ganz schnell wieder daran. Allerdings konnte ich mich nie mit der Vorstellung anfreunden, dass die gesamte Zukunft eines Menschen bereits feststeht. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, vor meinem Schicksal davonzulaufen.«
    »Ist es dir gelungen?«
    Er überlegte einen Moment. »Für eine Weile. Aber weißt du, am Ende holt es dich immer ein. Egal, wie weit man läuft.« »Und du bist weit gelaufen?«
    Er nickte. »Sehr weit. Bis an den Rand des Abgrunds.«
    »Jetzt machst du mich aber neugierig«, bemerkte ich leichthin, weil ich hoffte, dass er mir mehr darüber erzählen würde. Was er aber nicht tat. Seiner gerunzelten Stirn nach zu urteilen war es keine schöne Geschichte. Ich konnte es kaum erwarten, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren, wollte uns aber den schönen Abend nicht verderben, deswegen fragte ich nur: »Ist das weit?«
    Er lächelte fast. »Warum? Willst du auch hin?«
    Ich zuckte mit den Achseln, während ich gedankenverloren den zwischen uns liegenden Dolch kreisen ließ. »Im Gegensatz zu dir versuche ich nicht, vor meinem Schicksal davonzulaufen.«
    Da ich seinem Blick auswich, brachte er den kreisenden Dolch mit einer sanften Handbewegung zum Stillstand. »Solltest du aber vielleicht.«
    »Ich glaube«, erwiderte ich, während ich mit einem verschmitzten Grinsen langsam meinen Schatz unter seiner Handfläche hervorzog, »ich bleibe lieber und kämpfe.«
     
    Nach dem Essen bestand Alessandro darauf, mich zum Hotel zurückzubegleiten. Nachdem er bereits unseren Kampf wegen der Restaurantrechnung gewonnen hatte, leistete ich keinen weiteren Widerstand. Außerdem befand sich inzwischen zwar Bruno Carrera hinter Gittern, aber es trieb sich immer noch ein Irrer auf einem Motorrad in der Stadt herum und machte Jagd auf ängstliche Mäuschen wie mich.
    »Früher«, sagte er, während wir nebeneinander durch die Dunkelheit gingen, »war ich genau wie du. Ich dachte auch, dass man für den Frieden kämpfen muss und dass immer wieder Opfer nötig sind, wenn man eines Tages eine perfekte Welt erreichen will. Inzwischen weiß ich es besser.« Er warf mir einen Seitenblick zu. »Man sollte die Welt in Ruhe lassen.«
    »Versuchst du denn nicht immer noch, sie zu verbessern?«
    »Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. Der Versuch endet stets tödlich.«
    Ich konnte nicht anders, als über seinen dramatischen Schlusssatz zu lächeln. »Abgesehen von der Tatsache, dass mein Cousin im Krankenhaus liegt und von sadistischen Ärztinnen malträtiert wird, geht es mir eigentlich recht gut. Zu schade, dass wir keine Freunde sein können.«
    Alessandro wirkte überrascht. »Können wir nicht?«
    »Offensichtlich nicht«, antwortete ich. »Was würden denn da deine ganzen anderen Freunde sagen? Schließlich

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