Julie oder Die neue Heloise
niederdrückt, giebt es keine Entschädigung.
Mich, mich nenne, wenn Eines von uns schwach und unglücklich zu heißen verdient. Laß mich weinen und leiden; meine Thränen können ebensowenig versiegen, als mein Fehltritt wieder gut zu machen ist, und die Zeit selbst, die Alles heilt, bietet mir nur neue Ursache zu Thränen. Aber du, der keine Gewaltthätigkeit zu fürchten hat, den die Schande nicht drückt, den nichts zwingt, sein Gefühl elend zu verstecken; du, der du nichts fühlst als den Stachel des Unglücks, und wenigstens aller deiner Tugenden genießest wie zuvor, wie kannst du dich so tief erniedrigen, daß du seufzest und jammerst wie ein Weib und auffährst wie ein Rasender? Ist es nicht genug an der Verachtung, die ich um dich auf mich geladen habe, daß du sie noch vergrößerst, indem du dich selbst verächtlich machst, und daß du zugleich meine Schmach und deine auf mich häufst? Rufe denn deine Festigkeit zurück, wisse das Unglück zu ertragen und sei Mann! Sei noch, daß ich es zu sagen wage, der Geliebte, den Julie erwählt hat. Ach! wenn ich nicht mehr würdig bin, deinen Muth anzufeuern, so gedenke wenigstens dessen, was ich einstmals war; verdiene, daß ich um deinetwillen aufgehört habe so zu sein; entehre mich nicht zum zweiten Male.
Nein, mein achtungswürdiger Freund, nicht dich erkenne ich in dem weibischen Briefe, den ich auf immer vergessen will und den ich schon als von dir selbst verleugnet ansehe. Ich hoffe, gedemüthigt wieich bin, verwirrt wie ich bin, wage zu hoffen, daß mein Andenken nicht so unwürdige Gefühle erweckt, daß mein Bild noch mehr mit Ruhm in einem Herzen wohnt, das ich entflammen konnte, und daß ich mir nicht außer meiner Schwachheit auch noch die Erbärmlichkeit Dessen, der ihre Ursache war, vorzuwerfen habe.
Glücklich in deinem Unglücke, findest du die köstlichste Entschädigung, die ein gefühlvolles Herz kennt. Der Himmel giebt dir in deinem Mißgeschick einen Freund, und macht es zweifeltest, ob nicht, was er dir giebt, mehr werth ist, als was er dir nimmt. Bewundere und liebe den allzu großmüthigen Mann, der sich mit Aufopferung seiner Ruhe deines Lebens und deiner Vernunft annimmt. Wie würde es dich bewegen, wenn du Alles wüßtest, was er für dich hat thun wollen! Aber warum soll ich, um deine Erkenntlichkeit anzuspornen, deine Schmerzen bitterer machen? Du brauchst nicht zu wissen, wieweit seine Liebe zu dir geht, um seinen ganzen Werth zu erkennen, und du kannst ihn nicht nach Verdienst schätzen, ohne ihn zu lieben, wie du es ihm schuldig bist.
Achter Brief.
Von Clara.
Sie besitzen mehr Liebe als Delicatesse, und verstehen es besser, Opfer zu bringen, als sie bei Anderen zu würdigen. Wie können Sie an Julie bei dem Zustande, worin sie sich befindet, im Tone des Vorwurfs schreiben? Und müssen Sie, weil Sie leiden, es gegen sie auslassen, die noch weit mehr leidet? Ich habe es tausend Mal gesagt, mir ist in meinem Leben noch kein so schmollsüchtiger Liebhaber vorgekommen wie Sie; immer gleich fertig, über Alles zu zanken, ist für Sie die Liebe nur ein Kriegszustand, oder, wenn Sie einmal folgsam sind, so thun Sie es nur, um sich hinterher zu beklagen, daß Sie es thaten. O, wie sind dergleichen Liebhaber zu fürchten, und wie glücklich schätze ich mich, daß ich immer nur solche gemocht habe, die man verabschieden kann, wenn man will, ohne daß es Jemanden eine Thräne kostet!
Glauben Sie mir, Sie müssen Ihre Sprache gegen Julie ändern, wenn Sie sie am Leben erhalten wollen; es ist zu viel für sie, ihren eigenen Schmerz und Ihre Unzufriedenheit zugleich zu ertragen. Lernen Sie einmal dieses zu empfindliche Herz schonen; Sie sind ihr den liebreichsten Zuspruch schuldig; hüten Sie sich, die beiderseitigen Leiden durch Klagen zu vermehren, oder schütten Sie wenigstens Ihre Klagen nur gegen mich aus, die ich allein die Urheberin Ihrer Entfernung bin. Ja, mein Freund, Sie haben recht gerathen; ich habe ihr den Entschluß eingegeben, den ihre bedrohte Ehre erheischte, oder vielmehr ich habe sie gezwungen, ihn zu ergreifen, indem ich die Gefahr übertrieb; ich habe auch Sie überredet, und Jeder hat seine Schuldigkeit gethan. Ich habe noch mehr gethan, ich habe sie davon abgebracht, die Vorschläge Milord Eduards anzunehmen; ich habe mich Ihrem Glücke in den Weg gestellt, aber Juliens Glück ist mir mehr werth als das Ihrige; ich wußte, daß sie niemals glücklich werden könnte, nachdem sie ihre Eltern in Schande und
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