Julie oder Die neue Heloise
recht zu kennen; Sie werden wo möglich noch mehr thun, wann Sie ihn erst kennen werden. Ja, sein Sie sein Tröster, sein Beschützer, sein Freund, sein Vater; zugleich Ihretwegen und seinetwegen beschwöre ich Sie darum; er wird Ihr Vertrauen rechtfertigen, er wird Ihren Wohlthaten Ehre machen, er wird Ihre guten Lehren nutzen, er wird Ihre Tugenden sich zum Vorbilde nehmen, er wird von Ihnen Weisheit lernen. Ach, Milord, wenn er unter Ihren Händen zu dem wird, was er werden kann, wie stolz werden Sie eines Tages auf Ihr Werk sein!
Siebenter Brief.
Von Julie.
Und auch du, mein süßer Freund! und du, die einzige Hoffnung meines Herzens, auch du durchbohrst es noch, wenn es schon vor Betrübniß stirbt! Ich war gefaßt auf die Schläge des Schicksals, eine lange Vorahnung hatte sie mir in der Ferne gezeigt; ich würde sie um Geduld ertragen haben: aber du, um dessen willen ich sie leide! .... Ach, die allein, welche mir von dir kommen, sind mir unerträglich, und es ist schrecklich, meine Leiden durch Den erschwert zu sehen, welcher sie mir lieb machen sollte. Wie viel süßen Trost hatte ich mir versprochen, der nun mit deinem Muthe in die Lüfte verfliegt! Wie oft schmeichelte ich mir, daß deine Kraft meine Ohnmacht stärken, daß dein Verdienst meinen Fehltritt auslöschen, daß deine Tugenden meine gebeugte Seele aufrichten würden! Wie oft wischte ich meine bitteren Thränen ab und sagte mir: ich leide für ihn, aber er ist es werth; ich bin strafbar, aber er ist tugendhaft; tausend Trübsale belagern mich, aber seine Standhaftigkeit hält mich aufrecht, und ich finde in der Tiefe seines Herzens Alles wieder, was ich selbst verloren habe. Eitele Hoffnung, welche die erste Prüfung zerstört hat! Wo ist jetzt jene erhabene Liebe, die alle Gefühle adelt und Tugenden ins Dasein ruft? Wo sind jene stolzen Grundsätze? Wo ist jene Nacheifrung großer Männer? Ist das der Philosoph, den das Unglück nicht erschüttern kann, er, der bei dem ersten Unfall, welcher ihn von seiner Geliebten trennt, daniederliegt? Welchen Vorwand werde ich nun noch haben, meine Schande in meinen eigenen Augen zu entschuldigen, wenn ich in Dem, der mich verführt hat, nur noch einen Menschen sehe ohne Muth, verweichlicht vom Genusse, ein feiges Herz, das sich vom ersten Mißgeschicke niederschlagen läßt, einen Unbesonnenen, der den Verstand verliert, gerade wenn er ihn am meisten nöthig hat? O Gott, mußte meine Demüthigung dieses Uebermaß erreichen, daß ich auch noch über meine Wahl nicht minder erröthen muß als über meine Schwachheit?
Siehe, wie du mein vergissest! deine verwirrte, in den Staub geschlagene Seele erniedrigt sich bis zur Grausamkeit! Du kannst es über dich bringen, mir Vorwürfe zu machen, kannst es über dich bringen, dich über mich zu beklagen! .... über deine Julie! …. Unmensch! …. wie haben nicht deine Gewissensbisse, deine Hand gehemmt? wie haben dir die süßesten Beweise der zärtlichsten Liebe, die es jemals gab, den Muth gelassen, mich zu schmähen? Ach, wenn du an meinem Herzen zweifeln könntest, wie verächtlich wäre das deinige! …. Aber nein, du zweifelst nicht, du kannst nicht zweifeln, ich kann deiner Wuth darauf die Wette bieten, und selbst in diesem Augenblicke, da ich deine Ungerechtigkeit hasse, siehst du nur zu gut, was es ist, das mir zum ersten Male in meinem Leben den Zorn erregt hat.
Kannst du es mir aufwälzen, wenn ich mich durch ein blindes Vertrauen ins Verderben gestürzt, und wenn mein Vorhaben nicht geglückt ist? Wie würdest du erröthen über deine Härte, wenn du wüßtest, welche Hoffnung mich verleitet hatte, welche Pläne ich für dein und mein Glück zu machen mich erkühnt hatte und auf welche Art alle meine Hoffnungen zerstoben sind! Eines Tages (noch immer schmeichle ich mir so) wirst du vielleicht mehr davon erfahren können, und dann wird deine Reue mich für deine Vorwürfe rächen. Du weißt das Verbot meines Vaters, dir sind die Stadtgespräche nicht unbekannt; ich sah die Folgen von dem allen voraus, ich ließ sie dir vorstellen, du fühltest sie wie wir; und um uns einander zu erhalten, mußten wir uns dem Schicksale unterwerfen, das uns trennte.
Also weggejagd habe ich dich, wie du es nennen magst! Aber wofür that ich es, Liebhaber ohne Zartgefühl? Undankbarer! Für ein Herz, das viel biederer ist, als es selber denkt, und das tausendmal lieber sterben als mich erniedrigt sehen möchte. Sage mir, wie wird dir zu Muthe sein, wenn ich der
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