Julie oder Die neue Heloise
unbescheidene Neugier zurückhalten; aber wenn ich ein so süßes Geheimniß achte, wüßte ich dann doch wenigstens gewiß, daß es sich aufklären wird! Wer weiß, wer weiß, ob nicht wieder deine Pläne auf Träume hinauslaufen? Geliebte Seele meines Lebens, ach, machen wir wenigstens einen Anfang, sie einmal zu verwirklichen!
N. S. Ich vergaß dir zu sagen, daß Herr Roguin mir eine Compagnie in dem Regiment angeboten hat, welches er für den König von Sardinien aushebt. Ich bin sehr gerührt gewesen von der Aufmerksamkeit dieses braven Officiers; ich habe ihm gesagt, indem ich ihm dankte, daß ich zu kurzsichtig für den Dienst wäre und daß meine Neigung zu den Studien mit einem so thätigen Leben nicht recht wohl übereinstimmte. Hierin habe ich der Liebe kein Opfer gebracht. Ich denke, daß Jeder sein Leben und sein Blut dem Vaterlande schuldig ist; daß es aber nicht erlaubt ist, sich Fürsten in Dienst zu geben, denen man nichts schuldig ist, noch weniger sich zu verkaufen und aus dem edelsten Handwerk der Welt ein schnödes Gewerbe zu machen. Dies waren die Grundsätze meines Vaters, und ich möchte mich glücklich schätzen, wenn ich ihm nachahmen könnte in seiner Liebe zu seinen Pflichten und zum Vaterlande. Er wollte nie in die Dienste eines fremden Fürsten treten; aber in dem Kriege von 1712 hat er für das Vaterland die Waffen mit Ehren getragen; er wohnte mehren Gefechten bei, in deren einem er verwundet wurde, und in der Schlacht bei Wilmerghen hatte er das Glück, eine feindliche Fahne unter den Augen des Generals von Sacconer zu erbeuten.
Fünfunddreißigster Brief.
Von Julie.
Ich finde nicht, mein Freund, daß die Paar Worte, die ich scherzend über Madame Belon gesagt hatte, eine so ernsthafte Explication werth waren. Wer sich so viel Mühe giebt, sich zu rechtfertigen, macht das Vorurtheil oft nur gegen sich rege. Unter uns ist das sicherlich nicht der Fall; denn recht volle Herzen mäkeln nicht um jede Kleinigkeit, und die verliebten Zwiste um Nichts und wieder Nichts haben fast immer einen viel wirklicheren Grund, als es scheint.
Es ist mir indeß nicht unlieb, daß uns diese Läpperei Gelegenheit giebt, über die Eifersucht mit einander zu sprechen, einen für mich unglücklicherweise nur allzu wichtigen Gegenstand.
Wie unsere Seelen geschaffen sind, mein Freund, und nach dem Hange, der uns beiden gemein ist, sehe ich wohl, daß die Liebe die Hauptangelegenheit unseres Lebens sein wird. Wenn sie erst einmal so tief gewirkt hat, wie in uns, muß sie alle sonstigen Leidenschaften vertilgen oder in sich schlingen; die geringste Erkaltung würde für uns bald die Erschöpfung sein, die dem Tode vorangeht; unüberwindlicher Ekel und Ueberdruß würden eintreten, wenn die Liebe erloschen wäre, und wir würden nicht mehr lange leben können, nachdem wir aufgehört hätten zu lieben. Bei mir besonders fühlst du wohl, daß nur der Rausch der Leidenschaft mir das Grauenvolle meiner jetzigen Lage verschleiern kann und daß ich entweder schwärmerisch lieben oder vor Schmerz sterben muß. Sage dir also, ob ich Grund habe, einen Punkt ernsthaft zu besprechen, von welchem das Glück oder Unglück meines Lebens abhängt.
Soweit ich über mich selbst urtheilen kann, scheint mir, daß ich, wenn auch oft zu lebhaft ergriffen, doch wenig zur Heftigkeit geneigt bin. Die Schmerzen müßten lange in meinem Innern gewühlt haben, ehe ich es wagen sollte, die Quelle derselben ihrem Urheber zu entdecken; und da ich überzeugt bin, daß man nur mit Willen Unrecht thun kann,so würde ich lieber hundert Ursachen zur Klage als eine Explication ertragen. Ein solcher Charakter muß weit führen, wenn man dabei Hang zur Eifersucht hat, und ich bin nicht ohne Furcht, diesen gefährlichen Hang in mir zu spüren. Nicht, daß ich nicht wüßte, daß dein Herz für das meinige geschaffen ist und nicht für ein anderes. Aber man kann sich selbst täuschen, ein vorübergehendes Wohlgefallen für eine Leidenschaft nehmen und aus Einbildung ebenso viel thun, als man nur immer aus Liebe thun konnte. Wenn du dich nun für unbeständig halten kannst, ohne es in der That zu sein, mit wie viel größerem Rechte werde ich dir Untreue vorzuwerfen haben. Solche schreckliche Ungewißheit aber würde mein Leben vergiften; ich würde im Stillen seufzen, ohne zu klagen und würde untröstbar sterben, ohne daß ich doch aufgehört hätte, geliebt zu sein.
Laß uns, ich beschwöre dich, einem Unglück vorbeugen, dessen bloßer
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