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Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche

Titel: Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Powell
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auf der Fahrt von Lower Manhattan zur Upper East Side um sechs Uhr abends in einem nicht klimatisierten U-Bahn-Wagen Schweißflecken und Knitterfalten bekommen hatte. Dann stahl ich mich aus dem Zimmer, die fünfzehn Dollar Zuzahlung schon in der Hand, damit ich davonkam, ehe jemand merkte, dass ich das Zimmer verwüstet hatte.
    Kaum war ich zur U-Bahn runtergegangen, merkte ich, dass irgendwas los war. Schon vor den Drehkreuzen hörte ich ein leises, unterirdisches Rumpeln als Echo von den gefliesten Wänden und merkte, dass noch mehr ziellos blickende Menschen als sonst herumirrten. Der ätzende Geruch von Ärger lag in der stinkenden Luft. In großen Abständen kam eine »Ansage« durch den Lautsprecher, aber keiner dieser Wortsalate führte zur Ankunft eines Zuges, noch lange nicht. Wie alle anderen beugte ich mich über die Bahnsteigkante, in der Hoffnung, ganz hinten auf dem Gleis die blassgelben Scheinwerfer einer U-Bahn leuchten zu sehen, doch der Tunnel blieb schwarz. Ich roch wie ein verregnetes, verängstigtes Schaf. Meine Füße in den marineblauen Stöckelschuhen mit der Schleife vorn drauf brachten mich schier um, desgleichen mein Rücken, und bei dem Gedränge auf dem Bahnsteig befürchtete ich, dass gleich jemand aufs Gleis fallen würde - vielleicht ich, vielleicht auch der Mensch, den ich bei meinem unmittelbar bevorstehenden Nervenzusammenbruch hinunterstoßen würde.
    Doch dann wich die Menge wunderbarerweise zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, der Gestank aus meinem Kostüm hätte ein neues, tödliches Ausmaß erreicht, aber der skeptische, belustigte Blick in den Gesichtern der Zurücktretenden war nicht auf mich gerichtet, sondern auf eine abgewrackte, grauhaarige Frau mit einem Bürstenschnitt, wie man ihn geistig Behinderten verpasst. Sie war unmittelbar hinter mir auf den Betonboden geplumpst. Die Wirbel auf ihrem Kopf sahen aus wie ein riesiger Fingerabdruck, und in dem Moment spürte ich auch schon jenes nervöse Kribbeln an den Schienbeinen, das mich immer überkommt, wenn eine bestimmte körperliche Distanz unterschritten wird. Die Frau brabbelte wütend vor sich hin. Die Pendler hatten rings um die Irre instinktiv ein Stück Bahnsteig frei gemacht, wie eine Gnuherde, die einer Löwin ausweicht. Ich steckte als Einzige noch in dem gefährlichen schwarzen Kreis fest, ich war das geopferte Kalb, das verkrüppelte alte Tier, das nicht mehr mitkam.
    Nun begann die Verrückte, sich mit dem Handballen gegen die Stirn zu schlagen. »Scheiße!«, schrie sie, »Scheiße! SCHEISSE!«
    Ich wusste nicht, was sicherer war, sich in die Menge zurückzuschleichen oder wie angewurzelt stehen zu bleiben. Mein Atem ging flach, und ich ließ den Blick leer über die Gleise zum anderen Bahnsteig schweifen, ein alter U-Bahn-Chamäleontrick.
    Die Irre legte beide Handflächen auf den Beton vor sich und knallte - KRACH! - ihre Stirn auf den Boden.
    Das war selbst für die umstehenden New Yorker ein bisschen zu viel, obwohl natürlich alle wussten, dass Wahnsinn und U-Bahn zusammenpassen wie Erdnussbutter und Schokolade. Das grässliche Geräusch des Schädels auf dem Beton schien in der schwülheißen Luft widerzuhallen - als setze diese Frau ihre Hirnschale als Resonanzkörper ein, um mit den Verrückten auf sämtlichen U-Bahn-Linien der Stadt Kontakt aufzunehmen. Alle zuckten zusammen und blickten nervös um sich. Mit einem leisen Piepser hüpfte ich zurück in die Menge. Die Irre hatte eine schmierige, schwarze Abschürfung mitten auf der Stirn, wie der Kratzer, den mein Schuh an der Tür des Frauenarztes hinterlassen hatte, und sie kreischte immer noch. Der Zug fuhr ein, und mir war es ganz recht, dass ich nicht in den Wagen geschoben wurde, in den die Irre einstieg.
    Erst als wir im Wagen standen, Schulter an Schulter gedrängt, mit einer Hand an der Deckenstange hängend, wie Schlachtvieh baumelnd, weil der Zug so schlingerte, wurde mir bewusst - als habe mir eine allmächtige Stadtgottheit die Wahrheit eingeflüstert -, dass es nur zwei Gründe gab, warum ich nicht auch wie die Irre mit dem grauen Bürstenhaarschnitt meinen Kopf auf den Boden geschlagen und »Scheiße!« geschrien hatte: Erstens, weil es mir peinlich gewesen wäre, und zweitens, weil ich nicht wollte, dass mein schickes Kostüm noch schmutziger wurde. Angst vor öffentlicher Blamage und Reinigungskosten, das war alles, was mich vor blankem, tobendem Irrsinn bewahrte.
    Und da begann ich zu weinen. Als dem Typen neben mir

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