Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
weitergeübt, unabhängig davon, ob es sich um jüngere oder ältere Probanden handelte! Der Effekt ließ sich auch Tage nach dem Versuch noch nachweisen. Verwehrte man den Probanden den ersten nächtlichen Schlaf, nachdem sie neues Wissen erworben hatten, blieb der Lerneffekt aus, und zwar unwiderruflich. Selbst wenn sie in der darauffolgenden Nacht ausreichend schliefen, stellte sich keine bessere Leistung ein. Fazit: Entscheidend für den Lernerfolg ist der Schlaf, unmittelbar nachdem man etwas Neues gelernt hat! Eine Erkenntnis, die für Schulkinder ebenso gilt wie für Senioren.
Das Gehirn scheint also das tagsüber Gelernte nachts weiter zu trainieren – in jungen Jahren ebenso wie im Alter –, indem die Verbindungen in einem Netzwerk von Nervenzellen für eine bestimmte Aufgabe im Wesentlichen durch Wiederholung optimiert werden. Dies gilt gleichermaßen für das explizite (Fakten und Episoden) wie für das implizite Gedächtnis (unbewusstes Lernen). Offenbar gibt es auch für das Gehirn keine Alternative zu dem Prinzip »Übung macht den Meister« – am liebsten im Schlaf. Und entsprechend ist auch im Alter ein gesunder Schlaf wichtig. Während sich bei jüngeren Menschen nur fünf kurze, oft unbewusste Wachmomente je Nacht und eine entsprechend lange Tiefschlafphase messen lassen, zeigt sich, dass im Alter vor allem Letztere häufig gestört ist – ein älteres Gehirn ist nicht mehr in einem gleichen Maße in der Lage, die für den Schlaf notwendigen neuronalen Rhythmen zu induzieren bzw. diese Muster gleichmäßig und lange aufrechtzuerhalten. Bis zu 150 Wachmomente in einer Nacht konnten bei älteren Probanden festgestellt werden. Der Schlaf älterer Menschen ist also insgesamt fragmentierter, außerdem schlafen sie im statistischen Mittel schlechter ein, wachen morgens früher auf; dazu kommen altersbedingte Probleme wie erhöhter Harndrang. Dementsprechend verkürzt sich ihre Nachtschlafzeit häufig auf weniger als sechs Stunden, allerdings nicht unbedingt die Schlafdauer innerhalb von 24 Stunden, da viele Senioren den nachts unterbrochenen Schlaf tagsüber nachholen – auch wenn ihnen das nicht unbedingt bewusst ist.
»Ich habe heute Nacht überhaupt nicht geschlafen.« Diese Klagen kennt jeder aus dem Mund älterer Menschen. Fragt man genauer nach, ergibt sich folgendes Bild: Vormittags haben sie ein kleines Nickerchen gehalten, nachmittags zwei Stunden im Sessel geschlafen, nachts schien der Schlaf dann fragmentiert und nicht in gewohnter Weise erholsam. Schläft man tagsüber etwa drei Stunden, ist es nicht ungewöhnlich, dass man den üblichen Sieben-Stunden-Nachtschlaf nicht mehr braucht. Insofern kann man das Jammern vieler älterer Menschen »Ich kann nicht schlafen!« – und auch die eigenen Schlaferfahrungen – durchaus gelassen sehen.
Digitale Seniorenkluft
Nach all diesen Erkenntnissen ist Vorsicht geboten bei schnellen Urteilen. Denn wir müssen einen Faktor bedenken, der das Können und Nicht-mehr-Können der 50plus-, 60plus-, 70plus-, 80plus-Gehirne in ein neues Licht rückt. Unsere Welt, vor allem die digitale elektronische Welt, verändert sich so rasant, dass ältere Menschen mit den Entwicklungen vor allem bei Handy/Smartphone, PC , Laptop, Tablet- PC , iPad und Internet oft kaum hinterherkommen. Sie sind groß geworden in einer Zeit, in der drei Schwarz-Weiß-Programme eine enorme Errungenschaft bedeuteten. Heute verfolgen Jugendliche US -Serien per Stream am Laptop. Festplattenrekorder und digitale Fernsehwelten bedeuten, dass Fernsehen unabhängig von der Sendezeit wird. Die digitale Kluft zwischen jungen – den digital natives – und alten Menschen – den digital learners – ist groß.
Drei kleine Beispiele aus dem Leben sollen Ihnen die Relativität dieser Kluft verdeutlichen:
Der Sohn will seine 70-jährige Mutter erreichen können, wenn er länger nicht von ihr hört. Also schenkt er ihr ein Handy – mit großen Tasten, einfach zu bedienen. Die Kurzwahl ist mit seiner eigenen Telefonnummer belegt, den Nummern des Hausarztes und der Nachbarin. Das nimmt ihm ein wenig die Sorge um seine zwar rüstige, aber dennoch herzkranke Mutter. Er wählt keine Flatrate, da ja nicht zu erwarten steht, dass die Mutter diese überhaupt ausnützen würde. Höchst irritiert erhält er nach einigen Wochen die erste Rechnung: 125 Euro. Das muss ein Fehler sein. Er ruft seine Mutter an und fragt nach, wie ihr das Handy gefalle. (Er hatte sie in vier Wochen fünf Mal angerufen, sie
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