Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
ihn nicht ein einziges Mal.) »O ja«, vermeldet die Rentnerin erfreut, »so ein Handy ist ganz wunderbar. Ich habe alle Freundinnen aus alten Tagen angerufen und ausgiebig telefoniert – es ist ja so praktisch im Bett und im Fernsehsessel. Und das Beste ist, es kostet nichts, weil keine Schnur dran ist.« Jetzt hatte der Sohn verstanden, dass er seiner Mutter nicht nur die Handhabung, sondern auch die Abrechnungsmodalitäten des neuen Wundergeräts hätte erklären sollen.
Die 82-jährige Oma ist immer völlig verblüfft, wenn die Enkelin im Internet etwas herausbekommt, woran sie sich partout nicht erinnern kann (Wer hat nach dem Krieg immer in den Filmen mit Rock Hudson mitgespielt?), oder günstig kauft oder – angeblich – kostenlos mit Freundinnen überall auf der Welt spricht und diese dabei auch noch sieht. Sie findet mit der Zeit Gefallen an dem »Wunderding« und bittet die 17-Jährige nach Telefonnummern von verschollenen Schulfreunden, den besten Preisen beim Discounter, den Öffnungszeiten des Friseurs usw. zu fahnden. Als sie feststellt, dass sowohl Tochter als auch Enkelin auch ihre Bankgeschäfte per Internet erledigen, kommt ihr eine Idee, mit der sie an einem Samstag vorstellig wird. »Könnt ihr nicht das Geld für die Grabpflege im Computer überweisen?« Seit ihr Mann verstorben ist, hat die Dame das Geld bei der Bank am Schalter an den Friedhofsservice überweisen lassen, es diese Wochen aber vergessen, und nun ist Samstag. Ihre Idee ist klug. Die Enkelin fragt nach Kontonummer und Betrag, um am Computer und vor Omas Augen das »Wunder« zu vollbringen. Alles läuft perfekt, bis die alte Dame sich schreckensbleich vor die Stirn schlägt. »Jetzt hab ich doch ganz vergessen, dass heute Samstag ist, da kann das Geld ja gar nicht durch den Schlitz gehen, die Bank hat ja heut geschlossen.« Gemeint war mit dem Schlitz das CD-Laufwerk.
Man kann über diese wahren Begebenheiten schmunzeln oder verständnislos den Kopf schütteln, aber nur, wenn man sich nicht klarmacht, dass auch von der 50plus-Generation die wenigsten vor 20 Jahren ein Autotelefon besaßen – und wenn doch, dann wog es 5 Kilogramm. Digitale Bankgeschäfte begannen 1980 als BTX , hatten kaum private Nutzer und erst im Laufe der 90er Jahre gewannen sie als Online-Banking an Bedeutung. Facebook existiert erst seit 2004. Also Vorsicht! Die Digitalisierung unserer Welt hat unser Leben im Zeitraffer verändert – und zwar in fast allen Bereichen: Einkaufen, Partnersuche, Transparenz von Politik (siehe WikiLeaks), Lernen, Kommunikation.
Dazu passt auch folgende Begebenheit: Die 18-jährige Tochter möchte nach bestandenem Abitur nach Indien reisen. Die Mutter ist skeptisch. Ob das Kind das jetzt schon bewältigt – so ganz alleine. »Kein Problem«, versichert das Kind, »ich schick dir jeden Tag eine SMS und lass dich wissen, dass es mir gut geht.« Na ja, besser als nichts, denkt die besorgte Mutter und bleibt skeptisch. Die reiselustige Tochter insistiert weiter: »Du hast doch auch mit 20 eine Rucksack-Tour nach Südamerika gemacht. Und die Oma ist doch superängstlich, wahrscheinlich hast du sie zweimal am Tag vom Handy aus anrufen müssen!!!!«
Die 52-jährige Mutter seufzt. Gott sei Dank war das damals nicht möglich. 1980 versuchte man in Brasilien vielleicht alle drei Wochen ein Telegramm zu schicken oder für ein horrendes Geld nach langer Warterei auf dem Postamt eine Leitung zu bekommen. Vor lauter Knacksen war die Schluchzerei der eigenen Mutter kaum zu hören. Das ist mehr als 30 Jahre her. Ein Jugendlicher im Jahr 2012 kann das schwer nachvollziehen. »Hattest du denn damals kein Handy, Mama?«
Schneiden wir uns als Ältere selbst von den neuen Kommunikationsmöglichkeiten, dem schnellen Wissenserwerb und dem sozialen Leben im Netz ab, erschwert dies das Miteinander mit den Jüngeren, für die diese Errungenschaften völlig selbstverständlich sind. Und tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass zumindest die Generation der 1940er- und 1950er-Jahrgänge schnell aufholt. Ein Viertel der Internet-Nutzer in Deutschland ist 60 Jahre und älter. Zwar sind 2010 nur 4 % davon in sozialen Netzwerken aktiv – aber immerhin sind es doppelt so viele wie 2009. In den USA lag der Anteil der über 65-jährigen Facebook-Nutzer 2010 bereits bei 2 %. Es ist zu erwarten, dass diese Aktivitäten auch unter älteren Menschen weiter rasant zunehmen werden, und dies zeigt, dass die digitale – und damit auch soziale – Kluft
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