Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
altern kognitiv langsamer – gemeinschaftliches Engagement zahlt sich also aus. Und – last but not least – wird es möglicherweise ohne die Senioren gar nicht mehr gehen. So schrieb der Arzt Dr. Michael Feld 2011 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen alarmierenden Artikel über den Fachkräftemangel gerade im medizinischen Bereich: Demnach sollen bereits im Jahre 2020 über 56.000 Ärzte fehlen und darüber hinaus 140.000 nicht ärztliche Fachkräfte; und diese Zahlen steigen weiter: Bereits 2030 wird es einen nicht gedeckten Bedarf an 165.000 Ärzten und 800.000 nicht ärztlichen Fachkräfte geben!
Aber selbst wenn es genügend Fachkräfte gäbe: Wovon sollen sie bezahlt werden? Der Vorschlag von Dr. Feld besteht darin, einen Teil des Problems durch ehrenamtliche Tätigkeit zu lösen – indem fitte Senioren sich um kranke kümmern. Naiver Idealismus? Wunschdenken? Vielleicht! Aber nicht unrealistisch in einer werteorientierten Gesellschaft, wie Michael Feld hofft: »Ein positiv besetztes Klima sozialer Verantwortung und Bindung, Selbsterfahrung, altruistische, humanistische, moralische und religiöse Werte inklusive hoher Anerkennung, wird dafür unverzichtbar sein.«
Wie das Modell funktionieren könnte, zeigt ein Verein auf Gegenseitigkeit: die Riedlinger Seniorengenossenschaft mit ihren ca. 650 Mitgliedern. Sie wurde bereits 1991 als erste ihrer Art nach einer Idee des Pensionärs Josef Martin gegründet mit dem Ziel, dass die Vereinsmitglieder möglichst lange in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben können: Jüngere Senioren, die bei guter Gesundheit sind, helfen älteren, indem sie ihnen etwa Besorgungen abnehmen, Essen für sie zubereiten und die Wohnung putzen. Wer 100 Stunden Hilfe angespart hat, hat selbst ein Anrecht auf 100 Stunden Hilfe.
Verschiedene Modelle sind hier denkbar, aber ein gesellschaftlich verordnetes Ehrenamt wollen die wenigsten annehmen, denn dann ist es ja keines mehr. Es muss also Freiwilligkeit und eine gewisse Unverbindlichkeit bei diesen karitativen Tätigkeiten geben. Und dennoch: Wer sich als Rentner und Pensionär engagieren möchte, ist nicht allein. Etwa 20 Millionen Deutsche sind derzeit sozial aktiv – vom Miet-Opa/Oma über Sport- und Kunstvereine bis zum Bildungseinsatz. Wir müssen also keinen Krieg der Generationen befürchten, sondern dürfen auf eine neue Harmonie hoffen, wie es schon der Berliner Altersforscher Paul Baltes am Beginn des 21. Jahrhunderts prognostiziert hat: »Die Psychologie der Generationen ist auf wechselseitige Harmonie angelegt, die Jungen wissen ja, dass sie mal alt werden, die Alten erinnern sich an ihre eigene Jugend.«
Die neue 65plus-Generation im Arbeitsleben
Henning Scherf, ehemaliger Bürgermeister der Hansestadt Bremen und 1938 geboren, lebt heute im Ruhestand mit seiner Frau in einer Art Alten-Wohngemeinschaft. 2006 veröffentlichte er ein viel beachtetes Buch ( Grau ist bunt. Was im Alter möglich ist ), in dem er nicht nur von den wundervollen Jahren erzählt, die er nach dem Beginn der Rente erlebt hat, sondern auch für einen anderen Umgang mit alten Menschen plädiert: »Die Lebensstile alter Menschen ändern sich. Wir müssen lernen, die Alten nicht auf ein unterforderndes Amüsierleben und danach auf ein massenhaft zu versorgendes Pflegeproblem zu reduzieren. Weil alte Menschen teilhaben wollen an unserer Gesellschaft, müssen wir in unterschiedlichen Bereichen ein Arbeiten über das gesetzliche Rentenalter hinaus zulassen. Wir Älteren wollen uns beteiligen, uns einmischen. Arbeit strukturiert unser Leben, über nichts sind wir so stark in die Gesellschaft integriert.«
Viele Jahre waren deutsche Unternehmen dem Jugendwahn verpflichtet, was dazu geführt hat, dass Deutschlands Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen immer noch weit hinter der europäischen Spitze hinterherhinkt: Während in Schweden, der Schweiz und Norwegen nahezu 70 % dieser Altersgruppe noch einer Beschäftigung nachgehen, waren es im Jahre 2005 in Deutschland nur 45 %.
Aber auch hier schafft der demographische Wandel Fakten: In 25 Jahren wird jeder vierte Beschäftigte älter als 55 Jahre alt sein. Bei Wirtschaftswissenschaftlern galt diese Altersgruppe bislang als unproduktiv und überbezahlt. Viele der hier im Buch beschriebenen Beispiele belegen das Gegenteil. Aber woher kommt eigentlich das schlechte Image älterer Mitarbeiter? Unter anderem zeichnen Analysen von Ökonomen dafür verantwortlich, etwa die des in Stanford
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