Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
beheimateten Wirtschaftswissenschaftlers Edward Lazear, der Ende der 70er Jahre noch davon ausging, dass Firmen älteren Mitarbeitern mehr zahlen, als diese erwirtschaften. Im Unterschied dazu bekommen Berufseinsteiger ein Gehalt, das unterhalb ihrer Produktivität liegt – mit der Aussicht auf Lohnsteigerungen mit zunehmendem Alter, wenn sie sich entsprechend anstrengen. Die Folgen sind klar: Wird der prozentuale Anteil der älteren Mitarbeiter zu groß, kann sich der Betrieb ihre Überbezahlung nicht mehr leisten, die Unternehmen würden zwangsläufig pleitegehen. Dies ist aber eine Betrachtungsweise, die sich als falsch erweist: Heute 60-Jährige sind fitter, als ihre Altersgenossen es noch vor 30 oder 40 Jahren waren, sie sind gesünder und leistungsfähiger. Mehr als 100 Studien zur Job-Effizienz belegen, »dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen der Arbeitsleistung älterer und jüngerer Arbeitnehmer gibt, wenn als Maßstab das erbrachte Arbeitsergebnis zugrunde gelegt wird«.
Hier sind die Personalabteilungen gefragt, ihre Vorurteile dringend abzubauen. Natürlich nimmt die physische Leistungsfähigkeit im Alter ab, aber wie viel zählt das noch in einer doch im Wesentlichen wissensbasierten Gesellschaft? Die in den vorherigen Kapitel gesammelten Fakten deuten darauf hin, dass ältere Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Erfahrung (Expertenwissen), ihrer Menschenkenntnis (emotionale Intelligenz) und ihres Organisationswissens besondere Fähigkeiten besitzen, auf die Betriebe im Sinne eines guten Altersmixes in der Arbeitnehmerstruktur und die Gesellschaft als Ganzes nicht verzichten sollten. Studien zeigen auch, dass ältere Arbeitnehmer eine höhere Arbeitsmoral und mehr Bewusstsein für Qualität haben. Sie können besser strategisch denken, logischer argumentieren, sind eher bereit zu teilen und haben ein stärker ganzheitliches Verständnis für die Arbeit.
»Die Nützlichkeit
des Lebens liegt nicht
in seiner Länge, sondern in
seiner Anwendung.«
Michel de Montaigne
Bereits heute ist abzusehen, dass ältere Mitarbeiter zukünftig leichter Akzeptanz finden werden – allein vor dem Hintergrund des anstehenden Fachkräftemangels, der es erzwingen wird, Ältere länger und gezielter in Betrieben als Mitarbeiter zu halten. Gute Schulungen und mentale Fitnessprogramme können die älteren Mitarbeiter dabei gezielt unterstützen. Wer also seine Mitarbeiter lange gewinnbringend einsetzen möchte, der muss diese Maßnahmen schon frühzeitig mit bedenken, nämlich bevor die Mitarbeiter alt werden – ähnlich wie die geistige Vorsorge für das Altern durch einen entsprechenden Lebensstil gar nicht früh genug beginnen kann. Was nottut, ist eine gezielte betriebliche Entwicklungsarbeit, die systematisch auf den einzelnen Mitarbeiter, die Mitarbeiterin bezogen ist und schon heute das noch kommende Altern mit berücksichtigt. Dass neues Lernen im Alter nicht mehr funktioniert, ist, wie die Altersforscherin Ursula Staudinger meint, »ein Vorurteil, erwachsen aus der Beobachtung, dass sich Menschen natürlich schwertun mit dem Lernen, wenn man sie ein Leben lang nicht gefordert hat« .
Interessant sind aber auch Arbeitsmodelle, bei denen die Mitarbeiter im Laufe des Arbeitslebens nicht immer nur die Karriereleiter nach oben steigen. Vorstellbar wäre, dass Mitarbeiter jenseits der 60 Aufgaben abgeben und entsprechend ihrer Expertise einen neuen, kleineren Aufgabenbereich übernehmen. Dabei können ganz neue Konzepte erprobt werden, z. B. das reziproke Mentoring, bei dem nicht nur die Älteren die Jüngeren anleiten, sondern umgekehrt auch jüngere die älteren Mitarbeiter in neue Techniken oder Kommunikationsformen einführen, ohne dass dies mit einem Gesichtsverlust bei den älteren, meist hierarchisch höher stehenden Kollegen einhergeht. Je nach Berufsgruppe und Tarifvertrag sind unterschiedlich lange Arbeitszeiten denkbar. Und noch radikaler sind Vorschläge des Demographieforschers James Vaupel, der angeregt hat, über Lebensarbeitszeitkonten nachzudenken, in denen 30-jährige junge Mütter und Väter weniger arbeiten, als sie es heute in dieser Lebensphase tun, und entsprechend mehr arbeiten, sobald die Kinder aus dem Haus sind. Solche Ideen sollte man nicht mit einem schnellen Abwehrreflex vom Tisch wischen, denn wir müssen uns der Tatsache stellen, dass heute geborene Kinder ein reelle Chance haben, im statistischen Mittel und nicht als rühmliche Ausnahme weit über 90 Jahre zu werden, und zwar bei
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