Jungs sind keine Hamster
er war. Erst nach ein paar Sekunden schüttelte ich mein Erstaunen ab, warf den Müll in die Tonne und lief, so schnell wie in zu weiten Schlappen möglich, in den Garten und suchte meine Tüte. Sie lag direkt neben dem Pflaumenbaum. Gott sei Dank war nichts herausgefallen. Meine Klamotten zum Wechseln waren noch trocken.
Eilig zog ich mich in unserem Gartenhäuschen um und hing die nassen Klamotten auf, die ich ja später wieder tragen musste. Dann kletterte ich über den Zaun. Das schien mir der sicherste Weg zu sein, um nicht noch mal erwischt zu werden.
Marvin wartete vor dem Kino auf mich. Er hatte seine Kapuze übergezogen und die Hände steckten in den Hosentaschen.
Als er mich kommen sah, lief Marvin mir entgegen.
„Da bist du ja“, sagte er fröhlich. „Sollen wir gleich reingehen? Mir ist saukalt.“
„Klar.“ Ich hakte mich bei ihm ein und wir schlenderten ins Kino. Ich genoss jeden Schritt. Normalerweise hing mir maximal eine hässliche Tasche am Arm und kein gut aussehender Junge, wenn ich ins Kino ging. Im Foyer sahen wir uns die Plakate der Filme an, die wir uns anschauen konnten. Marvin wollte unbedingt in einen Actionfilm, während mir eher was Romantisches vorschwebte. Wir einigten uns schließlich auf eine romantische Komödie über ein Paar, das sich zwar liebte, aber irgendwie nicht zueinanderfinden konnte, weil beide extrem unterschiedliche Leben lebten. Ein bisschen wie bei uns, fand ich, und hoffte, dass der Film ein grandioses Happy End hatte. Und sie liebten sich bis an ihr Lebensende.
Wir reihten uns in die Schlange der Wartenden vor dem Ticketschalter ein. Ich nahm mir vor, ab sofort jeden Moment aufzusaugen wie ein Schwamm. Schließlich war das der erste Kinobesuch mit meinem ersten Freund. Ein Meilenstein! Ein unfertiger allerdings. Denn als wir endlich vor dem Kassierer standen, war der Film, den wir sehen wollten, bereits ausverkauft.
„Und nun?“, fragte Marvin und sah sehnsüchtig auf ein Filmplakat, auf dem ordentlich große Explosionen und ein muskelbepackter Schauspieler mit ausdrucksloser Miene und ausdrucksstarkem Maschinengewehr zu sehen waren.
„Wann läuft der Film das nächste Mal?“, fragte ich durch die kleine Öffnung der Glasscheibe hindurch.
„Zwanzig Uhr“, antwortete der Kassierer.
„Was meinst du? Sollen wir uns jetzt schon mal Karten kaufen und dann um zwanzig Uhr zurückkommen?“, fragte ich Marvin, der etwas zauderte.
„Hm. Okay. Aber dann muss ich nach dem Film sofort nach Hause. Sonst dreht mir meine Mutter den Hals um.“
Für mich war das kein Problem. Meine Mutter würde mir so oder so den Hals umdrehen, egal ob ich in fünf Minuten oder in fünf Jahren wieder zu Hause auftauchte.
„Okay, dann hätten wir gern zwei Tickets für zwanzig Uhr, bitte“, sagte ich und zog mein Portmonee aus der Jacke.
„Lass stecken“, unterbrach mich Marvin und drückte sich an mir vorbei. „Das erledige ich.“ Er fummelte einen zusammengefalteten 50-Euro-Schein aus der Hosentasche und klatschte ihn auf den kleinen Tresen des Ticketschalters.
„Zwei Karten, bitte.“
Es gefiel mir außerordentlich, von ihm eingeladen zu werden, und das musste ich mit der Welt teilen. Ich drehte mich zu einem etwa dreißigjährigen Mann um, der hinter uns in der Reihe stand.
„Das ist mein Freund“, sagte ich.
„Selber schuld“, antwortete der.
Draußen vor dem Kino beratschlagten Marvin und ich, wie wir die Zeit bis zum Start des Films verbringen könnten.
„Sollen wir was essen gehen?“, fragte er.
„Gute Idee. Mir hängt der Magen schon in den Kniekehlen.“
„Ein Stück die Straße runter ist ein ganz guter Chinese. Da war ich mal mit meinen Eltern. Magst du chinesisches Essen?“
„Logisch.“
Die meisten chinesischen Restaurants sehen gleich aus. Als ob man die von der Stange kaufen könnte. Rot, plüschig, komische Lampen und neben dem Eingang ein Aquarium, in dem bunte Fische schwimmen, die darauf hinweisen, welche Mafia hier Schutzgeld abkassiert. Zumindest hatte das mein Vater immer behauptet.
In dem Restaurant, das Marvin vorgeschlagen hatte, kämpfte folkloristische Musik gegen den Lärm der Gäste an. Fast alle Tische waren besetzt und die Kellner wieselten flink mit Tellern und Tabletts voller Getränke durch den Laden. Nur ganz vorne direkt am Fenster war noch ein kleiner Tisch frei. Wir setzten uns und studierten die ausgelegten Speisekarten. Das machte ich immer, obwohl ich schon vorher wusste, was ich bestellen würde. Aber
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