Jungs sind keine Hamster
wollte ich ihm ins Gesicht sehen.
Ich beschloss also, mich am späten Nachmittag aus dem Staub zu machen und Marvin vor dem Kino zu treffen.
Ich öffnete mein Fenster. Es war kalt und windig. Regen prasselte mir ins Gesicht. Ich sah in unseren Garten hinunter und begutachtete noch mal unseren Baum. Hier war nichts zu machen. Der einzige Weg führte über die viel zu dünnen, glitschigen Äste. Mir blieb nichts anderes übrig, als durch die Haustür zu entwischen.
Mein Handy klingelte. Lore rief an.
„Hallo, Lore.“
Lore hielt sich nicht mit einer Begrüßung auf. Sie legte gleich los: „Thomas will Schluss machen!“
Eigentlich hatte ich genug eigene Probleme, aber Lore klang ruhig und ernst und kein bisschen hysterisch, was mir echt Sorgen machte.
„Schon wieder?“
„Ja.“
„Warum?“
„Weil ich seine Mutter beleidigt habe.“
„Was hast du gesagt?“
„Nur die Wahrheit.“
„Und wie lautet die?“
„Dass seine Mutter eine blöde, eingebildete Zicke ist, die mir überhaupt keine Chance gibt, nur weil ich im Fuck-you-Haus wohne.“
„Hm. Manchmal ist es besser, nichts zu sagen, anstatt sich mit der Wahrheit den Mund zu verbrennen.“
„Poesiealbumsprüche helfen mir jetzt auch nicht weiter.“
„Sorry. Was hat Thomas gesagt?“
„Dass es mir nicht zustehe, seine Familie zu beleidigen.“
„Und dann?“
„Dann hat er gesagt, dass das zwischen uns keinen Sinn macht.“
„Und dann?“
„Dann ist er gegangen.“
„Mist.“
Ich dachte angestrengt nach, wie ich ihr helfen oder wie ich sie wenigstens trösten könnte. Aber mir fiel nichts ein. Die Situation war echt verfahren. Und ich hatte auch noch so viel Marvin und Hausarrest im Kopf, dass einfach kein Platz für andere Gedanken war.
„Meinst du, du kannst heute vorbeikommen?“, fragte sie und ihre Stimme klang so gar nicht nach Lore. Zerbrechlich war sie wie Porzellan.
„Geht leider nicht. Ich hab Hausarrest.“
„Kann ich vorbeikommen?“
„Nein. Leider nicht. Ich sitz in Isolationshaft. Meine Mutter hat jeden Besuch verboten.“
„Kannst du nicht einfach abhauen? Machst du doch sonst auch immer“, fragte Lore mit dünner Stimme. Sie klang, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen.
„Das geht nicht. Viel zu riskant. Und ich kann jetzt auch nicht mehr aus dem Fenster klettern.“
„Da kann man wohl nichts machen, oder?“
„Nein, leider nicht. Aber ich glaube, dass es eh besser wäre, wenn du alleine mit Thomas reden würdest. In Ruhe.“
„Er geht nicht an sein Telefon.“
„Dann fahr hin.“
„Meinst du?“ Lore war sich unsicher.
„Ja. Unbedingt. Du musst direkt mit ihm sprechen und nicht übers Telefon.“
„Vielleicht hast du Recht.“
„Ganz bestimmt.“
„Gut. Tschüss dann.“
„Tschüss.“
Was war ich nur für eine beste Freundin! Lore brauchte mich und ich erfand irgendwelche Ausreden. Aber irgendwann wich mein schlechtes Gewissen der Angst, Marvin könnte mich in den nächsten vierzehn Tagen einfach vergessen.
Kurz nach fünf Uhr schlenderte ich auf dicken grauen Socken durchs Haus. Ich hatte meine ausgeleierte Jogginghose und ein uraltes, durchlöchertes Sweatshirt an, das früher meinem Vater gehört hatte und mir viel zu groß war. Ich setzte eine Trauermiene auf, um keinen Verdacht zu erregen. Meine richtigen Klamotten hatte ich gut verpackt aus dem Fenster in den Garten geworfen. Meinen schwarzen Lieblingspulli trug ich unter dem Sweatshirtmonster. Mein Plan lautete, von so vielen Personen wie möglich in meinen Schlabberklamotten gesehen zu werden. Alle sollten denken, dass ich mich mit meinem Schicksal als Strafgefangene abgefunden hatte. Nichts sollte darauf hindeuten, dass ich einen Ausbruch plante. Dann, wenn alle sicher waren, dass ich brav in meinem Zimmer hockte und Trübsal blies, würde ich entwischen, meine Klamotten holen, mich umziehen und zu meiner Verabredung mit Marvin düsen.
Hannes war noch nicht von der Arbeit zurück. David war in seinem Zimmer, Mutter spielte mit Jakob im Wohnzimmer mit Lego und Jette lungerte in der Küche herum und telefonierte sich die Ohren blutig.
Als ich den Kühlschrank öffnete, um mir ein Brot zu schmieren, weil mein Mittagessen ja ausgefallen war, starrte Jette mich drohend an.
„Ich muss aufhören. Ich bin nicht mehr allein“, sagte sie und legte auf. „Muss das sein?“, fragte sie aggressiv.
„Was?“, zischte ich zurück.
„Dass du mich beim Telefonieren störst.“
„Sieht das hier aus wie eine
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