Jurassic Park
ihn überfahren.«
Der Junge war blaß und ohne Bewußtsein. Er zitterte.
Manuel stand neben der grünen Tür der Krankenstation und winkte. Die Männer trugen den Jungen ins Untersuchungszimmer und legten ihn auf den Tisch in der Mitte. Während Manuel eine Infusion setzte, brachte Bobbie die Lampe über dem Jungen in Position und beugte sich über ihn, um die Wunden zu untersuchen. Sie erkannte sofort, daß es nicht gut aussah. Der Junge würde höchstwahrscheinlich sterben.
Eine lange, ausgefranste Wunde lief von der Schulter über den Oberkörper. Das Fleisch an den Wundrändern war zerfetzt, wie aufgerissen. Die Schulter war ausgerenkt, helle Knochen lagen bloß. Eine zweite Wunde klaffte in der kräftigen Oberschenkelmuskulatur, sie war so tief, daß man die Femoralarterie pulsieren sah. Ihrem ersten Eindruck nach war das Bein von Klauen aufgerissen worden.
»Erzählen Sie mir von dieser Verletzung «, sagte sie.
»Ich hab es nicht gesehen«, entgegnete Ed. »Die andern sagen, der Schaufelbagger hat ihn mitgeschleift.«
»Es sieht nämlich fast so aus, als sei er von einem Tier angefallen worden«, sagte Bobbie Carter, während sie die Wunde genauer untersuchte. Wie die meisten Notärzte konnte sie sich in allen Einzelheiten an Patienten erinnern, die sie schon vor Jahren gesehen hatte. Und sie konnte sich an zwei Verstümmelungen durch Tiere erinnern. Der eine Fall betraf ein zweijähriges Kind, das von einem Rottweiler angegriffen worden war, der andere einen betrunkenen Zirkuswärter, der eine unglückliche Begegnung mit einem bengalischen Tiger gehabt hatte. Beide Verletzungen ähnelten dieser hier. Angriffe durch Tiere hinterließen charakteristische Spuren
»Von einem Tier angefallen?«, fragte Ed. »Nein, nein. Glauben Sie mir, es war ein Schaufelbagger.« Ed leckte sich beim Sprechen über die Lippen. Er war unruhig und nervös, als hätte er etwas angestellt. Bobbie fragte sich, warum; da die Firma bei dem Bau unerfahrene Arbeiter aus dem Dorf verwendete, mußte es doch die ganze Zeit zu Unfällen kommen. »Soll ich die Wunden ausspülen?« fragte Manuel.
»Ja«, antwortete sie. »Aber erst einen Druckverband anlegen.« Sie beugte sich tiefer und betastete die Wunde mit den Fingerspitzen. Falls ihn ein Bagger überrollt hatte, mußte Erde tief in der Wunde stecken. Aber da war keine Erde, nur ein schmieriger schleimiger Schaum. Außerdem roch die Wunde eigenartig, ein verfaulter Gestank, ein Geruch nach Tod und Verwesung. »Wann ist das passiert?«
»Vor einer Stunde.«
Wieder fiel ihr auf, wie angespannt Ed Regis war, und sie fragte sich erneut nach dem Grund. Er war einer dieser ehrgeizigen Typen, sah eigentlich überhaupt nicht wie der Vorarbeiter auf einer Baustelle aus - eher wie ein Manager. Der Situation war er offensichtlich nicht gewachsen.
Bobbie Carter wandte sich wieder den Verletzungen zu. Irgendwie glaubte sie nicht, daß es sich dabei um Wunden handelte, die von einer Maschine verursacht worden waren. Keine Erdverschmutzung der Wunden, keine Anzeichen für Quetschungen; von Maschinen verursachte Verletzungen - ob bei Auto- oder Betriebsunfällen - wiesen dagegen fast immer Quetschungen auf. Aber hier gab es keine. Statt dessen war die Haut des Mannes im Schulterbereich und am Oberschenkel zerfetzt, wie von Klauen aufgerissen. Es sah wirklich wie der Angriff eines Tieres aus. Andererseits war der Rest des Körpers unversehrt, und das war untypisch für tierische Angriffe. Bobbie untersuchte noch einmal den Kopf, die Arme, die Hände – Die Hände.
Es lief ihr kalt den Rücken hinunter, als sie sich die Hände des Jungen betrachtete. An beiden Handflächen entdeckte sie kurze Schnittwunden und Blutergüsse an den Handgelenken und Unterarmen. Sie hatte lange genug in Chicago gearbeitet, um zu wissen, was das bedeutete.
»Na schön«, sagte sie. »Warten Sie bitte draußen.«
»Warum?« fragte Ed beunruhigt. Das paßte ihm gar nicht. »Wollen Sie, daß ich ihm helfe oder nicht?« fragte sie zurück, schob ihn zur Tür hinaus und stieß sie ihm vor der Nase zu. Sie wußte nicht was hier eigentlich los war, aber es gefiel ihr nicht. Manuel zögerte, »Soll ich weiterwaschen?«
»Ja«, sagte Bobbie. Sie griff nach ihrer Olympus-Automatikkamera und machte mehrere Fotos, wobei sie zur besseren Ausleuchtung immer wieder die Lampenposition veränderte. Doch plötzlich stöhnte der Junge, sie legte die Kamera weg und beugte sich über ihn. Seine Lippen bewegten sich, aber seine
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