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Just Listen - Roman

Just Listen - Roman

Titel: Just Listen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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gehört. Und dennoch   – als die Sekunden vergingen und sie nicht sofort wieder wegschaute, fragte ich mich plötzlich, ob sie mir vielleicht endlich vergeben hatte. Ob ich möglicherweise eine alte Kluft schließen könnte, für die neue, die sich aufgetan hatte. Da wir beide von Sophie fertiggemacht und ausgeschlossen worden waren, würde das sogar passen. Denn wir hatten wieder etwas gemeinsam.
    Sie sah mich immer noch an. Ich legte mein Sandwich hin, holte erneut tief Luft. Ich brauchte nichts weiter zu tun, als etwas zu ihr zu sagen, hier, in diesem Augenblick, irgendetwas Nettes, irgendetwas, das vielleicht   – doch auf einmal wandte sie sich ab. Steckte das Notizbuch in ihre Tasche, zog den Reißverschluss zu. Dabei fuhr sie ihrenEllbogen aus; spitz ragte er in meine Richtung, ihr ganzer Körper wirkte steif, eine unmissverständliche Sprache ohne Worte. Sie hüpfte von der Mauer, schlang den Riemen der Tasche über ihre Schulter und ging davon.
    Ich blickte auf mein halb gegessenes Sandwich und fühlte, wie mir ein Kloß in den Hals stieg. Überflüssigerweise, denn Clarke konnte mich schon seit Langem nicht mehr ausstehen. Wenigstens das war nichts Neues.
    Ich blieb den Rest der Pause über auf der Mauer hocken und achtete sorgfältig darauf, niemandem ins Gesicht zu schauen. Schließlich blickte ich auf die Uhr. Nur noch fünf Minuten. Das Schlimmste ist vorbei, dachte ich. Aber ich sollte mich irren.
    Ich steckte gerade die Wasserflasche in meine Tasche, als ich hörte, wie ein Wagen an der Mauer vorbeifuhr und am Ende der Straße wendete. Im Umdrehen sah ich einen roten Jeep, der am Bordstein hielt. Die Beifahrertür öffnete sich, ein dunkelhaariger Typ stieg aus, steckte sich eine Zigarette hinters Ohr und beugte sich noch einmal ins Wageninnere vor, um dem Fahrer etwas zu sagen. Erst als er die Tür zuwarf und sich vom Wagen entfernte, konnte ich erkennen, wer am Steuer saß. Will Cash.
    Mein Magen plumpste nach unten, aber ganz konkret. Als stürzte er aus großer Höhe auf die Erde. Ich hörte nichts mehr, sämtliche Geräusche um mich her fielen über den Rand aus meinem Bewusstsein, mein Blickfeld verengte sich, meine Handflächen begannen zu schwitzen, mein Herz schlug wie wild in meinen Ohren,
poch poch poch.
    Ich starrte ihn an. Ich konnte nicht anders. Er saß da, eine Hand am Steuer, und wartete darauf, dass der Wagen vor ihm   – ein Kombi, aus dem ein Mädchen gerade irgendeingroßes Instrument auslud, ein Cello oder so etwas   – endlich wieder losfuhr. Schüttelte irgendwann ungeduldig den Kopf.
    Schsch, Annabel. Ich bin’s bloß.
    In den letzten Monaten waren wahrscheinlich eine Million roter Jeeps an mir vorbeigefahren; jedes Mal hatte ich unwillkürlich nachgesehen, wer am Steuer saß, hatte ein bestimmtes Gesicht gesucht. Sein Gesicht. Jedes Mal vergeblich. Erst jetzt, hier   – das war er, tatsächlich und höchstpersönlich. Ich hatte mir einzureden versucht, dass ich stark und mutig sein konnte, zumindest bei Tag. Und trotzdem fühlte ich mich in diesem Moment genauso hilflos wie damals, in jener Nacht. Als wäre ich nirgendwo sicher, nicht einmal jetzt, hier, am helllichten Tag, im freien, offenen Gelände.
    Endlich hatte das Mädchen ihren Instrumentenkasten aus dem Wagen gezerrt und schloss die Tür, wobei sie dem Fahrer zum Abschied zuwinkte. Der fuhr los. Will ließ seinen Blick über den Schulhof schweifen, betrachtete die Leute dort, ohne sie wirklich wahrzunehmen; zumindest schien er niemanden im Besonderen anzuschauen. Dann richteten seine Augen sich auf mich.
    Wieder starrte ich ihn bloß an, wieder schlug mir das Herz bis zum Hals. Das Ganze dauerte nicht länger als eine Sekunde. Sein Gesicht war ausdruckslos. Als wäre ich eine Fremde, irgendwer. Ich entdeckte kein wiedererkennendes Aufblitzen in seinen Augen, gar nichts. Dann gab er Gas, der Wagen flitzte los, ein verschwommener roter Fleck. Es war vorbei.
    Plötzlich wurde ich mir der Geräusche und Bewegungen um mich herum wieder bewusst: Leute, die Müll in den nächsten Eimer schmissen, irgendwem irgendwas zuriefen,an mir vorbei zu ihrem nächsten Unterricht eilten. Gleichzeitig jedoch verweilte mein Blick auf dem roten Jeep, der den Hügel hinauf Richtung Hauptstraße fuhr, sich Stück um Stück von mir entfernte. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, wandte den Kopf, beugte mich vor und erbrach mich in das Gras hinter der Mauer   – mittendrin, umgeben von Lärm und Stimmen, Bewegung und

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