Just Listen - Roman
Veränderung.
Als ich mich kurze Zeit später wieder umdrehte, war der Schulhof fast leer. Die Sportcracks der Schule, die jede Pause auf der gegenüberliegenden Mauer hockend verbrachten, waren weg; auf dem Rasen unter den Bäumen fläzte sich niemand mehr; auch Emily und Sophie hatten ihre Bank verlassen. Erst als ich mir den Mund abgewischt hatte und mich zur Seite drehte, merkte ich, dass Owen Armstrong nach wie vor auf der Mauer saß. Und mich beobachtete. Ein intensiver Blick aus dunklen Augen, so intensiv, so dunkel, dass ich zusammenzuckte und rasch wegschaute. Als ich mich eine Minute später erneut zu ihm umwandte, war er verschwunden.
Sophie konnte mich nicht ausstehen. Clarke konnte mich nicht ausstehen. Niemand konnte mich mehr ausstehen. Na gut, ein paar Menschen vielleicht schon noch.
»Die
Mooshka -Leute
sind von deinen Fotos ganz begeistert«, meinte meine Mutter. Ihre muntere Stimme stand in totalem Gegensatz zu dem, wie ich mich fühlte. Ich saß in meinem Auto und wartete darauf, dass ich nach der siebten Stunde endlich vom Parkplatz fahren konnte; vor mir hatte sich eine endlose Schlange gebildet. »Lindy meinte, sie hätten bei ihr angerufen und bloß noch geschwärmt.«
»Echt.« Ich hielt das Telefon an mein anderes Ohr. »Ist ja toll.«
Ich versuchte, so enthusiastisch wie möglich zu klingen, hatte aber, ehrlich gesagt, völlig vergessen, dass meine Mutter mir vor ein paar Tagen erzählt hatte, Lindy – meine Agentin – habe meine Fotos an eine Firma in unserer Gegend geschickt, die
Mooshka Surfwear
hieß, Badebekleidung herstellte und derzeit Models für eine neue Werbekampagne suchte. Vielleicht reicht es, wenn ich sage, dass Modeln dieser Tage nicht zu meinen Hauptsorgen gehörte.
»Lindy meint, sie würden dich gern persönlich kennenlernen«, fuhr meine Mutter fort.
»Ach ja?«, sagte ich. Die Schlange kroch zwei bis drei Zentimeter vorwärts. »Okay. Wann?«
»Ja, eigentlich …«, antwortete sie, »... am liebsten – heute.«
»Heute?« Amanda Cheeker, in einem nagelneuen BMW – ja, tatsächlich, ein BMW –, schnitt mir gerade voll den Weg ab. Sie sah nicht einmal zu mir herüber, als sie vor mir aus ihrer Parklücke stieß und sich einreihte.
»Ja. Einer der Chefs ihrer Marketing-Abteilung ist wohl gerade in der Stadt, aber nur noch bis heute Abend.«
»Mama, das schaffe ich niemals.« Millimeter um Millimeter kämpfte ich mich vor und verrenkte mir dabei den Hals, um zu erkennen, wer oder was den Stau verursachte. »Ich hatte einen wirklich harten Tag –«
»Ich weiß, mein Schatz«, antwortete sie, als wüsste sie es tatsächlich, dabei hatte sie keine Ahnung. Da meine Mutter drei Töchter großgezogen hatte, kannte sie sich mit Krisen, Kriegsführung und Konflikten unter Mädchen bestens aus. Deswegen war es eigentlich kein großes Problem gewesen, ihr zu erklären, warum Sophie von einem Tag auf den anderen spurlos aus meinem Leben verschwunden war. Dazu brauchte ich bloß ein paar Standardsätze vonmir zu geben, nach dem Motto »Sie ist seit Neuestem so komisch drauf« oder »Keine Ahnung, was da abgeht«. Sie ging davon aus, dass Sophie und ich uns schlicht auseinandergelebt hatten. Wenn ich ihr erzählt hätte, was wirklich passiert war – ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie reagiert hätte. Nein, falsch, ich
konnte
es mir vorstellen. Genau deshalb hatte ich ihr auch nichts davon erzählt. Und beabsichtigte auch weiterhin nicht, das zu tun. »Aber Lindy meint, sie seien wirklich
sehr
an dir interessiert.«
Ich warf einen Blick in den Seitenspiegel, betrachtete mein Spiegelbild: Gesicht gerötet, Haare wie Spaghetti, Wimperntusche verschmiert – Ergebnis eines kleinen Zusammenbruchs auf dem Mädchenklo nach der sechsten Stunde. Ich sah genauso mies aus, wie ich mich fühlte. »Du verstehst das nicht«, antwortete ich und schob mich gerade mal eine Wagenlänge vorwärts. »Ich habe letzte Nacht nicht gut geschlafen, ich sehe total fertig aus, ich bin völlig verschwitzt –«
»Ach, Annabel, ich weiß, mein Schatz«, sagte sie. Sofort hatte ich wieder diesen Kloß im Hals, diesmal als spontane Reaktion auf den sanften, verständnisvollen Ton ihrer Stimme – Balsam auf meinen Wunden nach dem Horrortag, der hinter mir lag. »Aber es wäre doch nur ein ganz kurzer Termin. Danach könntest du dich ausruhen.«
»Mama!« Die Sonne blendete mich, es stank nach Auspuffgasen. »Ich bin absolut –«
Erneut
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