Justiz
weitgehend ein Polizeistaat 27
geworden, der in alles hineinredet, in die Sittlichkeit und in den Verkehr (beide in chaotischem Zustand). Der Polizist stellt daher nicht so sehr ein Symbol des Schutzes dar als eines der Schikane.
Schluß. Schwer alkoholisiert. Dazu ist eben die Appartementsdame in mein Büro gekommen (wieder die Mansarde in der Spiegelgasse), braucht juristischen Schutz. Werde ihr raten, sich einen Hund anzuschaffen. Den kann sie und sich selber nächtlich zweimal ausführen (Empfehlung des Tierschutzvereins, von Jämmerlin zähneknirschend akzeptiert).
Staatsanwalt Jämmerlin: er haßte den Kantonsrat. Dessen Nonchalance ging ihm auf die Nerven. Er konnte es Kohler nie verzeihen, daß dieser ihm, Jämmerlin, im Tonhallesaal die Hand geschüttelt hatte. Er haßte ihn so sehr, daß er sich mit sich selber entzweite. Die Spannung zwischen seinem Haß und seinem Gerechtigkeitssinn war ins Unerträgliche gewachsen. Er erwog, sich als befangen zu erklären, dann wieder hoffte er, der Kantonsrat würde ihn als Staatsanwalt ablehnen. In seiner Ratlosigkeit vertraute er sich dem Oberrichter Jegerlehner an. Der Oberrichter sondierte beim Untersuchungsrichter, dieser beim Kommandanten, der seufzend den Kantonsrat aus dem Bezirksgefängnis in sein Büro führen ließ, damit man es gemütlicher habe. Der Dr. h.c. war bester Laune. Der Cheval Blanc vortrefflich. Der Kommandant kam ihm wieder mit Stüssi-Leupin, sein Offizialverteidiger sei ein berüchtigter Versager. Kohler erwiderte, das spiele doch keine Rolle. Der Kommandant rückte endlich mit den Bedenken Jämmerlins heraus.
Der Kantonsrat versicherte, er könne sich keinen ihm gewogeneren Ankläger denken, eine Antwort, die, als sie Jämmerlin mitgeteilt wurde, diesen zum wütenden Ausruf verleitete, jetzt werde er es dem Kantonsrat zeigen und diesen lebenslänglich versenken, worauf der Oberrichter den Staatsanwalt beinahe dispensierte, es aber bleibenließ, aus Furcht, diesen treffe dann vor Wut der Schlag, stand doch Jämmerlins Gesundheit nicht zum besten.
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Der Prozeß: er fand vor dem Obergericht vor fünf Oberrichtern statt, früh für unsere Verhältnisse, in Windeseile sozusagen, ein Jahr nach dem Mord, wieder im März. Das Verbrechen war öffentlich geschehen, wer der Mörder war, mußte nicht bewiesen werden. Nur über das Motiv der Tat war nichts auszumachen. Es schien keines zu geben. Aus dem Kantonsrat war nichts herauszubringen. Man stand vor einem Rätsel. Auch der sorgfältigen Befragung des Angeklagten durch die zuständigen Richter gelang es nicht, den geringsten Anhaltspunkt ans Tageslicht zu fördern. Die Beziehungen zwischen Mörder und Ermordetem waren die denkbar korrektesten.
Geschäftlich hatten sie nichts miteinander zu tun, Eifersucht war ausgeschlossen, nicht einmal Vermutungen waren in dieser Hinsicht möglich. Angesichts dieser seltsamen Tatsache gab es zwei Interpretationen: Entweder war Dr. h.c. Isaak Kohler geisteskrank oder ein amoralisches Monstrum, ein Mörder aus reiner Freude am Töten. Den ersten Standpunkt nahm der Offizialverteidiger Lüthi ein, den zweiten der Staatsanwalt Jämmerlin, gegen die erste Ansicht sprach der Augenschein, Kohler machte einen durchaus normalen Eindruck, gegen die zweite dessen gloriose Vergangenheit, ein Politiker und Wirtschaftsführer war schon an sich sittlich erhaben.
Überdies wurden ihm seit jeher soziale (nicht sozialistische) Tendenzen nachgerühmt. Aber es war Jämmerlins ehrgeizigster Prozeß. Der Haß, die Schmach, die Witze, die man über ihn riß, beflügelten den alten Juristen, seinem unwiderstehlichen Schwung waren die Oberrichter nicht gewachsen, der farblose Lüthi blieb wirkungslos. Jämmerlins These vom Unmenschen Kohler drang zur allgemeinen Verblüffung durch. Die fünf Oberrichter glaubten ein Exempel statuieren zu müssen, selbst Jegerlehner gab nach. Wieder einmal tat man alles, um die Fassade der Moral zu retten. Das Volk, hieß es in der Urteilsbegründung, müsse von den finanziell und gesellschaftlich bessergestellten Kreisen einen sittlich einwandfreien Lebenswandel nicht nur fordern dürfen, sondern auch vorgelebt sehen können. Der Kantonsrat wurde zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt. Nicht ganz lebenslänglich, nur praktisch lebenslänglich.
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Das Verhalten Kohlers: Jedem fiel die Würde des überführten Mörders auf. Er betrat den Gerichtssaal völlig ausgeruht, hatte er doch die Untersuchungshaft der Hauptsache nach in einer
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