Todesreigen
Einleitung
Meine Erfahrungen mit der Form der Kurzgeschichte reichen weit zurück in die Vergangenheit.
Ich war ein schwerfälliger, pummeliger, im Umgang mit anderen unbeholfener Junge ohne jede sportliche Begabung. Wie es zu solch einem Kind passt, fühlte ich mich zum Lesen und Schreiben hingezogen, vor allem zu Kurzgeschichtenautoren wie Poe, O. Henry, A. Conan Doyle und Ray Bradbury, und nicht zuletzt auch zu einem der großartigsten Foren für kurze Erzählungen mit überraschenden Schlüssen, die es in den letzten fünfzig Jahren gab:
The Twilight Zone
. (Kein Fan dieser Fernsehserie soll versuchen, mir zu erzählen, er würde keine Gänsehaut bekommen, wenn er sich an das berühmte Rezeptbuch für den mitmenschlichen Umgang erinnert,
To Serve Man
.)
Wann immer ich mich auf der Junior High School mit der Aufgabe konfrontiert sah, selbst einen Text zu schreiben, versuchte ich es unweigerlich mit einer Kurzgeschichte. Damals schrieb ich allerdings keine Detektiv- oder Science-Fiction-Storys, sondern schuf voll jugendlicher Anmaßung mein eigenes Subgenre: Fast alle Geschichten handelten von schwerfälligen, pummeligen, im Umgang mit anderen unbeholfenen Jungen, die Cheerleader und Pompom-Girls aus gleichermaßen spektakulären wie unwahrscheinlichen Gefahren retteten, zum Beispiel bei den gewagten Bergsteigerabenteuern meiner Helden (die sich peinlicherweise in unmittelbarer Nähe meines Heimatortes Chicago abspielten, wo Berge bekanntermaßen durch Abwesenheit glänzen).
Diese Erzählungen riefen bei meinen Lehrern genau jenes Maß an Verzweiflung hervor, das man von Menschen erwarten durfte, die Stunden um Stunden damit verbracht hatten, uns den gesamten Pantheon literarischer Superstars als Vorbilder nahe zu bringen. (»Lass uns etwas
Besonderes
schaffen, Jeffery«– das Sechzigerjahre-Pendant zum heutigen: »Denk außerhalb der Kategorien.«) Zum Glück für ihre geistige Gesundheit und meine Autorenkarriere blieben diese von Unsicherheit geprägten Ergüsse eine Episode, die ich relativ schnell hinter mich brachte, um mich ehrgeizigeren schriftstellerischen Ambitionen zuzuwenden; dieser Weg hat mich zur Poesie, zum Songschreiben, zum Journalismus und schließlich zu Romanen geführt.
Obwohl ich weiterhin mit großem Vergnügen Kurzgeschichten las – in
Ellery Queen, Alfred Hitchcock, Playboy
(einer Publikation, die angeblich auch Fotos enthält), dem
New Yorker
und in Anthologien –, schien ich keine Zeit mehr zu haben, selbst welche zu schreiben. Erst einige Jahre später, als ich meinen Brotberuf aufgab, um ausschließlich als Schriftsteller zu arbeiten, bat mich ein Autorenkollege, der gerade eine Anthologie mit unveröffentlichten Geschichten zusammenstellte, zu diesem Band einen Text beizutragen.
Warum nicht?, sagte ich mir und legte los.
Zu meiner Überraschung entpuppte sich die Arbeit als absolut erfreuliche Erfahrung – und zwar aus einem Grund, mit dem ich nicht gerechnet hatte. In meinen Romanen nämlich halte ich mich strikt an die Konventionen; auch wenn ich es liebe, das Böse zunächst als gut erscheinen zu lassen (und umgekehrt) und gegenüber meinen Lesern mit der Möglichkeit eines katastrophalen Ausgangs zu spielen, bleibt am Ende das Gute doch gut und das Böse böse. Und mehr oder weniger konsequent setzt sich das Gute durch. Schriftsteller haben einen Vertrag mit ihren Lesern, und ich würde es mir nicht erlauben, sie ihre Zeit, ihr Geld und ihre Gefühle in einen langen Roman investieren zu lassen, um sie am Ende mit einem trostlosen, zynischen Schluss zu enttäuschen.
Bei einer dreißigseitigen Kurzgeschichte dagegen gelten keine Regeln.
Die Leser investieren nicht im gleichen Maße ihre Gefühle wie bei einem Roman. Der Witz bei einer Kurzgeschichte liegt nicht in einer Achterbahnfahrt voller überraschender Wendungen, in die Figuren verwickelt werden, über die der Leser mit der Zeit einiges erfahren hat und die er liebt oder hasst; es geht auch nicht um spezielle Schauplätze mit sorgfältig beschriebener Atmosphäre. Kurzgeschichten sind wie die Kugeln eines Heckenschützen. Schnell und vernichtend. In solch einer Geschichte kann man aus dem Guten Böses und aus dem Bösen noch Böseres machen, und was am meisten Spaß macht: aus wirklich Gutem wirklich Böses.
Unter handwerklichen Gesichtspunkten schätze ich die Disziplin, die Kurzgeschichten erfordern. Wie ich vor Studenten in Schreibkursen immer wieder betone, ist es viel leichter, lange Texte zu schreiben als
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