Justiz
Lebenslänglichen, werden Erleichterungen ohne Verpflichtung zur Besserung gewährt, stellen sie doch den Stolz des Hauses dar, Drossel und Zärtlich etwa, die, als sie ihr Unwesen trieben, den Bürger in Furcht und Schrecken versetzten, werden von den Wärtern mit scheuer Hochachtung behandelt, sie sind die Stargefangenen und fühlen sich auch so. Daß da bei den gewöhnlicheren Kriminellen bisweilen Neid aufkommt und sich einer so Gott will vornimmt, das nächste Mal gründlicher vorzugehen, sei nicht verschwiegen, auch die Medaille, die unser Zuchthaus verdient, hat ihre Kehrseite, aber als Ganzes genommen: wer wird da nicht tugendhaft; zusammengebrochene, von ihren Ämtern und Posten gestürzte Obersten beginnen aufs neue zu hoffen, Raubmörder wenden sich der Anthroposophie, Unzüchtler und Blutschänder sonst einem geistigen Streben zu, Tüten werden geklebt, Körbe geflochten, Bücher gebunden, Broschüren gedruckt, in der Schneiderei lassen selbst Regierungsräte ihre Maßanzüge anfertigen, dazu durchzieht ein warmer Brotgeruch das Haus, die Bäckerei ist berühmt, ihre Wurstwecken staunenswert (die Würste werden geliefert), Wellensittiche, Tauben, Radios sind durch Fleiß und Höflichkeit zu verdienen, für weitere Bildung sorgen Abendschulen, und nicht ohne Neid dämmert es einem auf, begreift man plötzlich, daß diese Welt in Ordnung ist, nicht die unsrige.
Gespräch mit dem Zuchthausdirektor: Zu meiner Überraschung wurde ich zum Direktor Zeller gebeten. Er empfing mich in seinem Büro, in einem Raum mit einem respektablen Konferenztisch, Telefon, Akten. An den Wänden Tabellen, schwarze Bretter voller Zettel, viel Kalligraphie, unter den Sträflingen, wie leider überall in diesem Lande, gibt es viele Lehrer. Das Fenster unvergittert, mit Ausblick auf die Gefängnismauer und etwas Rasen, auch dies schulhofmäßig, wäre hier nicht absolute Stille. Kein Autohupen, kein Geräusch, wie in einem Altersheim.
Der Zuchthausdirektor begrüßte mich reserviert, kühl, und wir setzten uns.
34
»Herr Spät«, begann er die Unterredung, »Sie sind vom Sträfling Isaak Kohler aufgefordert worden, ihn zu besuchen. Ich habe die Zusammenkunft erlaubt, und Sie werden Kohler in Gegenwart eines Wärters sprechen.«
Ich wußte von Stüssi-Leupin, daß er seine Klienten ohne Zeugen sprechen durfte.
»Stüssi-Leupin besitzt unser Vertrauen«, antwortete der Zuchthausdirektor auf meine Frage. »Ich will damit nicht sagen, daß wir Ihnen mißtrauen, aber wir kennen Sie noch nicht.«
»Verstehe.«
»Und noch etwas, Herr Spät«, fuhr der Zuchthausdirektor fort, nun schon freundlicher: »Bevor Sie mit Kohler reden, möchte ich Ihnen doch mitteilen, was ich von diesem Sträfling halte. Vielleicht ist das für Sie wichtig. Verstehen Sie mich recht. Ich habe mich nicht darum zu kümmern, weshalb die Menschen, die ich zu beaufsichtigen habe, hier sind. Das geht mich nichts an. Meine Sache ist der Strafvollzug.
Ausschließlich. Aus diesem Grunde will ich mich auch nicht zu Kohlers Verbrechen äußern, Ihnen aber gestehen, daß der Mann mich persönlich etwas verwirrt.«
»Inwiefern?« fragte ich.
Der Zuchthausdirektor zögerte ein wenig mit der Antwort: »Der Mann scheint vollkommen glücklich zu sein«, sagte er dann.
»Das ist doch erfreulich,« meinte ich.
»Na ja – ich weiß nicht«, entgegnete der Zuchthausdirektor.
»Ihr Betrieb ist schließlich ein Musterbetrieb«, sagte ich.
»Ich tue mein Bestes«, seufzte der Zuchthausdirektor, »aber trotzdem. Ein Multimillionär, der glücklich in seiner Zelle sitzt, das klingt unanständig.«
Auf der Zuchthausmauer spazierte eine große fette Amsel herum, wohl in der Hoffnung, bleiben zu dürfen, verlockt vom Piepsen, Singen und Pfeifen der in ihren Käfigen so wohlbetreuten Vögel, das bisweilen übermächtig aus den vergitterten Fenstern zu vernehmen war. Es war ein heißer Tag, der Sommer schien wieder aufzuflammen, über den fernen Wäldern ballten sich die Wolken zusammen, und vom Dorfe dröhnten die Schläge der Kirchturmuhr.
Neun Uhr.
35
Ich steckte mir eine Parisienne an. Er schob mir einen Aschenbecher hin.
»Herr Spät«, fuhr der Zuchthausdirektor fort, »stellen Sie sich einen Sträfling vor, der Ihnen gleich ins Gesicht zu erklären wagt, er finde das Zuchthaus wunderbar, die Wärter tüchtig, er sei vollkommen glücklich und brauche nichts. Unfaßlich. Ich war einfach angewidert.«
»Warum denn?« fragte ich. »Sind Ihre Wärter denn nicht
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