Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
irgendwie den Weg in seine Heimatstadt Salatiga gefunden hatte, phantastische Karten von Dungeons & Dragons -Reichen gezeichnet. »Ich habe wahnsinnig gern Geschichten auf Papier gebannt und auf diese seltsame Art Entfernungen dargestellt«, erzählte er mir, während wir auf die nach wie vor stumme Druckmaschine blickten. »So hat meine Faszination für Karten ihren Anfang genommen.« Doch erst als er in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, um einen Master in Internationale Beziehungen zu machen, gab ihm seine spätere Frau, die Geographie studierte, den Tipp, einen Kartographiekurs bei Mark Monmonier zu belegen, dem Autor des Kultbuchs Eins zu einer Million – Die Tricks und Lügen der Kartographen. Der Titel spielt darauf an, dass eine Karte nie einfach nur Orte abbildet, sondern immer bestimmte Interessen verfolgt und Mittel zum Zweck ist. Als Krisetya 1999 ein Job bei TeleGeography angeboten wurde, wusste er bereits, worum es gehen würde: Eine Karte ist die Projektion eines bestimmten Weltbilds – aber was hieß das in Bezug auf das Internet?
Mithilfe des technischen Supports in Deutschland gelang es dem Drucker schließlich, die riesige Maschine zum Leben zu erwecken, und die Vibrationen erschütterten die Türen – un-tscha, un-tscha, un-tscha. »Das klingt nach Papier!«, freute sich Krisetya. Der Probedruck lag auf einer großen Staffelei und wurde von Jupiterlampen ausgeleuchtet wie ein Patient auf dem Operationstisch. Krisetya nahm seine dicke Brille ab und ersetzte sie durch eine Lupe. Ich blickte ihm über die Schulter, die Augen im grellen Licht zusammengekniffen, und versuchte, mir ein Bild von der Welt zu machen, die diese Karte abbildete.
Es war eine Mercatorprojektion. Die Kontinente waren fett und schwarz, Staatengrenzen dagegen nur ganz dünn eingezeichnet, als wären sie nachträglich eingefügt worden. Starre rote und gelbe Linien durchzogen den Atlantik und den Pazifik, umrahmten in gezackten Bahnen die Kontinente des Südens und liefen an zentralen Orten zusammen: nördlich und südlich von New York, im Südwesten Englands, rings um Taiwan und im Roten Meer – wo sie so dicht beieinander lagen, dass sie einen einzigen dicken Streifen bildeten. Jede Linie stand für ein Kabel, das nur wenige Zentimeter Durchmesser hatte, aber Tausende Kilometer lang war. Würde man eines vom Meeresboden heraufholen und aufschneiden, so fände man innerhalb der harten Kunststoffhülle einen Kern aus stahlummantelten Glasfasern, die leicht rötlich schimmern und so dünn sind wie ein menschliches Haar. Auf der Karte sah so ein Kabel riesengroß aus; auf dem Meeresgrund wäre es nicht mehr als ein mit Schlamm bedeckter Gartenschlauch. Das elektronische globale Dorf schien auf dieser Karte mit der magnetischen Erdkugel zusammenzufallen.
Krisetya untersuchte jeden Quadratzentimeter des Probedrucks und wies auf kleine Mängel hin. Der Drucker verschob auf einer riesigen Steuerkonsole einzelne Regler nach oben und unten, wie ein Tontechniker an einem Mischpult. Alle paar Minuten lief die gigantische Presse an und spuckte einige Exemplare der neuesten Version aus. Dann sah Krisetya sie erneut Quadratzentimeter für Quadratzentimeter durch, bis er schließlich die Lupe sinken ließ und wortlos nickte. Der Drucker klebte ein leuchtorangefarbenes Etikett auf die Karte, und Krisetya signierte sie, wie ein Künstler, mit einem schwarzen Filzstift. Das war die definitive Druckvorlage, das Original der Darstellung der weltweiten Unterwasser-Telekommunikationslandschaft, circa 2010.
Die vernetzte Welt verspricht reibungslose Kommunikation – die Aufhebung des Raumes. Um die Karte in elektronischer Form nach Milwaukee zu übertragen, genügte es, eine E-Mail zu schicken. Aber die Karte selbst war keine JPEG - oder PDF -Datei und auch keine Google-Maps-Karte mit Zoomfunktion, sondern etwas Greifbares und Dauerhaftes – das auf synthetischem Papier der Firma Yupo gedruckt, jährlich aktualisiert, für 250 Dollar verkauft, in Pappröhren verpackt und in die ganze Welt verschickt wird. Die Karten zur physischen Infrastruktur des Internets von TeleGeography sind selbst Teil der physischen Welt. Sie stellen zwar das Internet dar, aber sie kommen von einem realen Ort – aus der 87th Street in Milwaukee, um genau zu sein, einem Ort, der einiges darüber zu erzählen hat, wie unsere heutige Welt entstanden ist.
Wer sich auf die Suche nach dem real greifbaren Internet macht, muss nach den Übergängen zwischen dem Festen
Weitere Kostenlose Bücher