Kälteeinbruch (German Edition)
ausfüllen.»
«Hat er das
so
gesagt?»
«Mehrmals.»
Anton las zum sechsten Mal die SMS , die er fünf Stunden zuvor von Hauptkommissar Lars Askheim erhalten hatte:
Kval geht es den Umständen entsprechend gut. Sitzt seit seiner Ankunft bei mir im Büro. Ist damit einverstanden, dass er die Nacht in einer Zelle verbringen muss. Habe angeordnet, dass es ihm im Arrest an nichts fehlen soll. Viel mehr kann ich nicht tun. Was wird aus Nils Jahr? Lars.
Anton hätte am liebsten geheult und war überzeugt davon, dass man ihm das ansah. Seit sie vor einer halben Stunde aus der Tiefgarage des Polizeireviers Sarpsborg gefahren waren, hatte Torp kein Wort mehr gesagt. Anton begann, sich zu fragen, ob er richtig gehandelt hatte. Alles hätte bleiben können, wie es war, wäre er Torps Vorschlag gefolgt: Hätte Askheim angerufen und ihn gebeten, Kval gehen zu lassen. Vielleicht hätte er dieses eine Mal die Augen verschließen sollen. Nicht hinsehen. Und dem toten Bernandas Mielkos den Schwarzen Peter zuschieben. Vergangene Nacht hatte er an Mielkos denken müssen. An das Schotterwerk. Die Ermittlungen der Polizeidirektion Østfold waren gerade erst angelaufen, doch schon jetzt hatte Anton das sichere Gefühl, dass sie niemals dahinterkommen würden, was genau sich dort oben abgespielt hatte. Hier waren zu große Kräfte am Werk. Der Ausländer war aus größerer Entfernung mit einem Präzisionsgewehr erschossen worden. Keine Handfeuerwaffe hätte eine derartige Wirkung entfalten können. Anton konnte sich nicht vorstellen, wie das hätte gehen sollen. Der Junge war mit einer USP Kaliber 40 erschossen worden. Die Pistole hatte man neben dem toten Ausländer gefunden. Was genau war dort passiert? Hatte Bernandas Mielkos den Jungen, mit dem er gekommen war, zurückgelassen, um selbst entweder unten auf dem Platz oder oben zwischen den Bäumen in Deckung gehen zu können? Und hatte er von dort dann den Ausländer erschossen, nachdem dieser kurz zuvor den Jungen getötet hatte? Die Fingerabdrücke auf der Pistole ließen sich nur einer Person zuordnen – dem Ausländer, der den halben Kopf eingebüßt hatte.
So jedenfalls konnte es nicht gewesen sein.
Der einzige Lichtblick war, dass er selbst bei den Ermittlungen nicht dabei wäre. Keiner von ihnen. Und schon gar nicht Ole Kval. Anton schaute aus dem Auto. Die weiße Landschaft zog an ihnen vorbei. Bäume, Äcker und schmale, schneebedeckte Sträßchen, die mit Sand bestreut waren.
Die Landschaft änderte sich erst, als Torp auf eine kleine Nebenstraße nach Elingaard abbog. Das zweistöckige Haus wurde von zwei gewaltigen Bauernhöfen flankiert. Auf der Nordseite des alten Holzhauses war ein anderthalbstöckiger Anbau errichtet worden. In der Mitte des großen, viereckigen Gartens, der das Haus umgab, stand ein mit Lichterketten geschmückter Baum.
«Was für ein Anwesen», bemerkte Torp und hielt vor dem Tor, das sich in einen Lattenzaun einfügte.
«Mhm», brummte Anton abwesend und öffnete die Tür.
«Willst du das allein übernehmen?»
«Am liebsten schon», erwiderte er und überließ Torp die Entscheidung, ob er mitkommen wollte oder nicht.
«Verstehe.» Torps Finger fanden den Lautstärkeregler am Radio. «Wenn das nicht gefährlich ist?»
«Der Kerl hatte nicht einmal den Mumm, einen fast siebzigjährigen Mann umzubringen. Bei ihm drinnen werde ich sicherer sein als hier im Auto mit dir am Steuer.»
Torp grinste. Antons Zunge würde wohl nie aufhören, dumme Sprüche zu klopfen, nicht einmal an einem Tag wie diesem.
«Schick mir eine SMS oder ruf an, wenn ich nachkommen soll.»
«Verstanden.»
Anton stieg aus. Schloss die Tür. Hörte, wie
Father and Son
von Cat Stevens zunehmend lauter aus dem Auto erschallte. Torp schien die Lautstärke kontinuierlich hochzudrehen. Dann wurde es still. Yusuf Islam entsprach offensichtlich nicht Torps Musikgeschmack. Das überraschte ihn nicht.
Die drei Treppenstufen aus Stein waren von Schnee und Eis befreit worden. Auf der mittleren Stufe hielt ein Porzellanwichtel eine Laterne mit einem Teelicht in der Hand. Unter seinem voluminösen Vollbart konnte Anton ein breites Grinsen erkennen. Die Fenster im Erdgeschoss lagen im Dunkeln. Er sah auf die Uhr: Viertel nach elf. In den zwei Fenstern im ersten Stock, die zum Vorplatz gingen, brannte Licht. Anton konnte hören, dass dort etwas los war. Helles, lautes Gelächter.
Sein Mittelfinger drückte auf die Klingel. Ein blonder Schopf blickte vom Fenster aus auf ihn
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