Kaeltezone
hatte irgendwann einfließen lassen, dass er Anton hieß.
»Du weißt doch, dass nicht immer alles ins Protokoll aufgenommen wird.«
»Der Mann ist nie bei diesem Bauern erschienen«, sagte Níels. Erlendur sah ihm an, dass er versuchte, sich an Details zu erinnern. Jeder erinnerte sich nur an die großen Fälle, die Morde und rätselhaften Fälle von vermissten Personen, jede einzelne wichtige Verhaftung, an brutale Gewaltverbrechen und Vergewaltigungen.
»Habt ihr in dem Falcon etwas gefunden, was Aufschlüsse darüber gab, ob er diesen Bauern tatsächlich getroffen hat oder nicht?«
»Wir haben nichts in dem Auto gefunden, was Hinweise darauf gab, dass er auf dem Hof in Mosfellssveit gewesen war.«
»Wie gründlich wurde es untersucht?«
»Damals waren wir meines Wissens technisch einfach nicht so weit wie heute. Wir haben das Auto so genau untersucht, wie wir konnten.«
»Habt ihr euch auch den Boden hinter den Pedalen vorgenommen?«
»Das steht im Protokoll.«
»Davon habe ich nichts gelesen. Ihr hättet sehen können, ob er bei diesem Bauern war oder nicht. Er hätte bestimmt Dreck an den Schuhen gehabt.«
»Es war kein komplizierter Fall, Erlendur, und niemand wollte ihn unnötig verkomplizieren. Der Mann hat sich aus dem Staub gemacht. Vielleicht hat er sich umgebracht. Die Leichen findet man nicht immer, wie du weißt. Gesetzt den Fall, dass wir irgendwas unter den Pedalen gefunden hätten – das hätte doch von überall herstammen können. Er hat Landmaschinen verkauft und ist in ganz Island herumgekommen.« »Was haben die Kollegen an seinem Arbeitsplatz gesagt?« Níels überlegte.
»Das ist lange her, Erlendur.«
»Versuch, dich zu erinnern.«
»Er war nicht fest angestellt, so viel weiß ich noch. Das war damals ziemlich ungewöhnlich. Er bekam Prozente und wurde bezahlt wie ein Freiberufler.«
»Was bedeutet, dass er selber die Steuern abführen musste.«
»Wie ich gesagt habe, er war nirgendwo im System unter dem Namen Leopold zu finden. Nirgends.«
»Du glaubst also, dass er diese Frau ausgenutzt hat, wenn er in Reykjavík war, also so etwas wie ein Bratkartoffelverhältnis, und ansonsten hat er irgendwo auf dem Lande gelebt?«
»Vielleicht hat er sogar eine Familie gehabt«, sagte Níels. »Solche Typen gibt’s.«
Erlendur trank einen Schluck Weißwein und betrachtete den perfekten Krawattenknoten unter Níels’ weißem Hemdkragen. Er war kein guter Kriminalbeamter. Für ihn gab es keine komplizierten Fälle.
»Du hättest ihr die Wahrheit sagen müssen.«
»Kann schon sein, aber so behielt sie den Mann in guter Erinnerung. Wir waren nicht der Meinung, dass es sich um ein Verbrechen handelte. Das Verschwinden dieses Mannes wurde nie als Mordfall betrachtet, denn es gab ja keinerlei Hinweise darauf, die eine Ermittlung gerechtfertigt hätten.«
Sie schwiegen, umgeben von lautem Stimmengewirr.
»Du und deine Vermisstenfälle, in die du dich reinkniest«, sagte Níels. »Warum dieses Interesse an so was? Wonach suchst du eigentlich?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur.
»Es war ein ganz gewöhnlicher Fall von spurlosem Verschwinden. Es hätte schon einiger anderer Dinge bedurft, um daraus eine Mordermittlung zu machen. Es gab keinerlei Hinweise, die dies gerechtfertigt hätten.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Kriegst du nie genug davon?«, fragte Níels.
»Manchmal.«
»Und deine Tochter, die steckt wohl immer noch in derselben Scheiße«, sagte Níels mit seinen vier gut geratenen Kindern, die alle vorbildliche Familien gegründet hatten und ein ebenso perfektes, makelloses Leben lebten wie er. Erlendur war sich dessen bewusst, dass die Verhaftung von Eva Lind und ihr Angriff auf Sigurður Óli die Runde im Dezernat gemacht hatten. Ihr wurden keine Zugeständnisse gemacht, weil sie Erlendurs Tochter war. Níels war die Geschichte offensichtlich ebenfalls zu Ohren gekommen. Erlendur musterte ihn von Kopf bis Fuß, die gepflegte Kleidung und die polierten Fingernägel, und überlegte, ob ein glückliches Leben einen zwangsläufig zum Langweiler machte.
»Ja«, erwiderte Erlendur, »sie steckt immer noch in derselben Scheiße.«
Zwölf
Als Erlendur abends nach Hause kam, wurde er nicht von Sindri in Empfang genommen. Er war auch gegen Mitternacht noch nicht aufgetaucht, als Erlendur zu Bett ging. Er hatte keine Nachricht und keine Telefonnummer hinterlassen. Erlendur vermisste seine Gesellschaft. Er rief die Auskunft an, seine Handynummer war nicht
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