Kaeltezone
bespitzelt!«
Sie schwiegen.
Im Grunde genommen war er sich darüber im Klaren, dass Ilona und Hannes Recht hatten. Er fand, dass es der Partei besser anstünde, mit offenen Karten zu spielen und zuzugeben, dass es im Augenblick keinen Platz für freie Wahlen und freie Meinungsäußerung gab. Das alles käme später, wenn das Ziel erreicht war: der Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Sie hatten sich manchmal darüber amüsiert, wie die Deutschen auf Versammlungen mit allem, was ihnen vorgelegt wurde, einverstanden waren: Beschlussfassung nach dem Prinzip der Einstimmigkeit wurde so etwas genannt. Wenn man sich aber hinterher privat mit den Leuten unterhielt, kamen ganz andere Ansichten zum Vorschein, die völlig im Gegensatz zu dem standen, was gerade vorher beschlossen worden war. Niemand traute sich, offen seine Meinung zu sagen. Man traute sich kaum, eine eigene Meinung zu haben, aus Furcht davor, dass sie als parteifeindliche Äußerung ausgelegt würde, die strafbar war.
»Diese Leute sind gefährlich, Tómas«, sagte Hannes nach langem Schweigen. »Denen ist es bitterernst.«
»Warum redet ihr andauernd über Meinungsfreiheit?«, erwiderte er böse. »Du und Ilona. Sieh dir doch bloß an, was sie mit den Kommunisten in den uSa machen! Sieh dir doch an, wie sie keine Arbeit bekommen und aus dem Land gewiesen werden. Und was ist mit der Überwachungsgesellschaft dort? Hast du gelesen, wie die Feiglinge unter ihnen ihre Genossen vor dem Komitee gegen unamerikanische Aktivitäten verraten haben? In den uSa ist die kommunistische Partei verboten. Dort ist auch nur eine Meinung zugelassen, und das ist die Meinung der Monopolkapitalisten, der Imperialisten, der Militaristen. Alles andere wird ausgeschlossen. Alles.«
Er stand auf, weil er sich in Rage geredet hatte.
»Du bist hier als Gast der Menschen, der Werktätigen in diesem Land«, sagte er böse. »Sie sind es, die deine Ausbildung bezahlen, und du solltest dich schämen, so zu reden. Schäm dich! Und sieh zu, dass du nach Island zurückkommst!«
Er stiefelte davon.
»Tómas«, rief Hannes ihm nach, aber er reagierte nicht darauf.
Als er raschen Schritts den Korridor entlangging, traf er Lothar, der ihn fragte, was los sei. Er schaute zurück zur Kaffeestube. »Nichts«, sagte er. Sie verließen gemeinsam das Haus. Lothar lud ihn zu einem Bier ein, und er erzählte Lothar, worüber Hannes und er sich gestritten hatten und dass Hannes aus irgendwelchen Gründen jetzt ein erklärter Gegner des Sozialismus sei und gegen ihn agitierte. Er sagte Lothar, dass er diese Doppelmoral bei Hannes nicht verstünde. Er sei gegen das sozialistische Regime, aber trotzdem war er entschlossen, es auszunutzen und sein Studium hier zu Ende zu bringen.
»Ich begreife das nicht«, sagte er zu Lothar. »Ich begreife nicht, wie er seine Stellung so missbrauchen kann. Das könnte ich nie tun. Niemals!«
Abends traf er Ilona und erzählte ihr von dem Streit. Er erwähnte auch, dass Hannes sich manchmal so anhörte, als würde er sie kennen, aber Ilona schüttelte den Kopf. Sie hatte nie von ihm gehört und nie mit ihm gesprochen.
»Bist du einverstanden mit dem, was er sagt?«, fragte er zögernd.
»Ja«, sagte sie nach längerem Schweigen, »ich bin genau derselben Meinung. Und nicht nur ich. Da sind noch viel, viel mehr Leute. Junge Leute in meinem Alter in Budapest. Junge Leute hier in Leipzig.«
»Warum melden die sich nicht zu Wort?«
»Das geschieht ja gerade in Budapest«, sagte sie. »Aber es geht gegen einen übermächtigen Gegner. Und es herrscht Angst. Überall herrscht Angst davor, was passieren könnte.«
»Das Militär?«
»Ungarn ist Kriegsbeute der Sowjetunion gewesen, und sie geben das Land nicht kampflos wieder frei. Falls es uns gelingt, sie abzuschütteln, weiß man nicht, was für Auswirkungen das auf die anderen osteuropäischen Länder haben wird. Das ist die große Frage, es geht um das, was damit ausgelöst würde.«
Zwei Tage später wurde Hannes ohne Vorwarnung relegiert und des Landes verwiesen. Er hörte, dass vor dem Zimmer, das Hannes gemietet hatte, ein Vopo postiert worden war und dass er von zwei Stasibeamten zum Flugplatz gebracht wurde. Sein Studium wurde ihm aberkannt. Es war, als wäre Hannes nie an der Universität gewesen. Er wurde einfach gestrichen.
Er traute seinen Ohren nicht, als Emíl ihm sagte, was passiert war. Emíl wusste nicht viel. Er hatte Karl und Hrafnhildur getroffen, die ihm von dem Polizeiposten
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