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Kaeltezone

Kaeltezone

Titel: Kaeltezone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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und ihrer gegensätzlichen Meinungen freundeten sie sich miteinander an. Er bemühte sich angestrengt, Hannes zu überzeugen, hatte aber keinen Erfolg damit. Sein Interesse war erloschen. Er dachte nur an sich selbst, es ging nur noch darum, das Studium zu Ende zu bringen und dann nach Island zurückzukehren.
    Eines Tages setzte er sich in der Kaffeestube zu Hannes. Draußen schneite es. Zu Weihnachten hatte man ihm von zu Hause einen warmen Mantel geschickt. In einem seiner Briefe hatte er von der Kälte in Leipzig erzählt. Hannes sprach ihn auf den Mantel an, und er glaubte, ein klein wenig Neid herauszuhören.
    Damals wusste er nicht, dass es das letzte Mal war, dass sie in Leipzig miteinander sprachen.
    »Wie geht es Ilona?«, fragte Hannes auf einmal.
    »Woher kennst du Ilona?«, fragte er zurück.
    »Ich kenne sie eigentlich nicht«, sagte Hannes und blickte sich um, als wolle er sichergehen, dass niemand ihnen zuhören konnte. »Ich weiß nur, dass sie Ungarin ist. Und dass ihr zusammen seid. Stimmt das nicht? Ihr seid doch zusammen?«
    Er trank einen Schluck von dem dünnen Kaffee und antwortete nicht. Er hörte einen anderen Ton bei Hannes heraus. Härter und unnachgiebiger als sonst.
    »Spricht sie manchmal mit dir über das, was in Ungarn passiert?«
    »Ja. Aber wir versuchen eigentlich, so wenig wie möglich über …«
    »Dir ist doch klar, was dort im Gange ist?«, unterbrach Hannes ihn. »Die Sowjets werden militärisch intervenieren und ihre Panzer hinschicken. Ich staune bloß, dass sie das nicht schon längst gemacht haben. Es ist unausweichlich. Wenn sie zulassen, dass sich die Dinge so zuspitzen wie in Ungarn, werden andere osteuropäische Staaten nachziehen, und dann gibt es einen allgemeinen Aufstand gegen die Sowjets. Spricht sie nie darüber?«
    »Wir reden über Ungarn, ja. Aber wir sind uns nicht einig.«
    »Nein, eben, du weißt natürlich besser als sie, die Ungarin, was dort passiert.«
    »Das habe ich nicht gemeint.«
    »Nein, aber was meinst du dann eigentlich?«, sagte Hannes. »Hast du jemals ernsthaft darüber nachgedacht? Ich meine, wenn du mal nicht alles durch die rosarote Brille siehst?« »Was ist nur mit dir geschehen, Hannes? Warum diese Wut? Was ist passiert, seitdem du hier bist? Du warst doch bei uns zu Hause die große Hoffnung der Partei?«
    »Die große Hoffnung«, schnaubte Hannes. »Das bin ich sicher nicht mehr.«
    Eine ganze Weile fiel kein Wort.
    »Ich habe nur diesen ganzen Quatsch durchschaut«, erklärte Hannes leise. »Diese ganze verfluchte Lüge. Wir wurden mit solchem Zeug wie ›das Paradies der Proletarier‹ hochgepäppelt, mit Gleichberechtigung und Völkerverständigung so lange gefüttert, bis man die Internationale wie eine aufgezogene Spieldose runterleiern konnte. Überall der gleiche kritiklose Halleluja-Chor. Zu Hause sind wir auf Kaderveranstaltungen gewesen. Hier gibt es nur Lobhudelei. Wo gibt’s hier eine Debatte? Es lebe die Partei und sonst gar nichts! Hast du mit den Menschen gesprochen, die hier zu Hause sind? Hast du eine Ahnung, was die Leute hier denken? Hast du mal mit einem ganz normalen Bürger hier geredet? Wollten sie Walter Ulbricht und die SeD? Wollten sie die Einheitspartei und die Planwirtschaft? Wollten sie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit abschaffen und die politischen Gegner so gut wie ausschalten? Wollten sie sich auf der Straße niederschießen lassen wie beim Aufstand von 1953? Daheim in Island haben wir doch immerhin die Möglichkeit, uns mit unseren Gegnern auseinander zu setzen, und wir können unsere Meinung in Zeitungsartikeln veröffentlichen. Hier ist das verboten. Es gibt nur die Parteilinie – und damit basta. Und dann nennen sie das Wahlen, wenn die Leute in die Wahllokale gescheucht werden, um die einzige Partei zu wählen, die hier uneingeschränkt arbeiten darf. Für die Leute in diesem Land ist das Ganze eine einzige Farce. Sie wissen, dass es nicht das Geringste mit Demokratie zu tun hat!«
    Hannes verstummte. Er kochte vor unterdrücktem Zorn. »Die Leute trauen sich nicht zu sagen, was sie denken, weil hier alles und jeder bespitzelt wird. Diese ganze verdammte Gesellschaft. Sie können dir aus allem, was du sagst oder tust, einen Strick drehen, und dann wirst du vorgeladen, du wirst festgenommen, du fliegst von der Uni. Unterhalte dich doch mal mit den Menschen hier, aber wenn, dann nur von Angesicht zu Angesicht, denn die Telefone werden abgehört! Hier werden ganz normale Menschen

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