Kaeltezone
du Lothar erzählt, was Hannes für Ansichten hat?« »Ja. Was meinst du eigentlich? Er weiß alles über Hannes.« Ilona starrte ihn an und schien fieberhaft zu überlegen.
»Kannst du mir nicht sagen, was hier eigentlich vorgeht?«, bat er sie.
»Wir wissen nicht ganz genau, wer Lothar ist«, sagte Ilona. »Könnte es sein, dass dir irgendjemand hierher gefolgt ist?«
»Mir gefolgt ist? Was meinst du damit? Was soll das heißen? Alle wissen doch genau, wer Lothar ist?«
Ilona starrte ihn an. Er hatte sie nie so ernst gesehen, beinahe angsterfüllt. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was um ihn herum vorging. Er wusste nur, dass ihn Schuldgefühle wegen Hannes peinigten. Weil Hannes glaubte, dass er die Schuld daran trug, wie es ihm ergangen war. Er hatte doch nichts getan. Gar nichts.
»Du kennst das System. Es ist riskant, zu viel zu sagen.«
»Zu viel! Ich bin doch kein Baby, ich weiß, dass man hier überwacht wird.«
»Natürlich weißt du das.«
»Ich habe nur mit meinen Freunden darüber geredet. Das ist doch nicht verboten! Es sind meine Freunde. Was geht hier eigentlich vor, Ilona?«
»Bist du sicher, dass dich niemand beschattet hat?«
»Mich hat niemand beschattet«, sagte er. »Was soll das? Weswegen sollte jemand mich beschatten? Wovon redest du eigentlich?« Dann dachte er einen Augenblick nach und sagte: »Ich weiß nicht, ob mir jemand gefolgt ist. Ich habe nicht darauf geachtet. Warum sollte mir jemand folgen? Und wer soll das denn sein?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie. »Komm, wir gehen zur Hintertür raus.«
»Wohin gehen wir?«
»Komm«, sagte sie.
Ilona nahm ihn bei der Hand und führte ihn durch die kleine Küche, wo die Vermieterin saß und strickte. Sie schaute hoch und lächelte, und sie erwiderten das Lächeln und verabschiedeten sich. Sie traten hinaus in einen dunklen Hinterhof, kletterten über einen Zaun und gelangten in eine schmale Gasse. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Warum lief er bei Nacht und Nebel hinter Ilona her und blickte sich andauernd um, ob ihnen jemand auf den Fersen war?
Sie hielten sich abseits der befahrenen Straßen. Manchmal blieb Ilona stocksteif stehen und lauschte auf Schritte. Dann ging sie wieder weiter und er hinter ihr her. Nach einem langen Marsch kamen sie in eine der Neubausiedlungen, die jetzt am Stadtrand errichtet wurden. Einige der Gebäude waren halb fertig, noch ohne Fenster und Türen, andere waren bereits bezogen worden. Sie betraten einen der Häuserblocks, der bereits zum großen Teil fertig gestellt war, und liefen in den Keller. Dort klopfte Ilona an eine Tür. Er hörte Stimmen von drinnen, die plötzlich verstummten, als geklopft wurde. Die Tür ging auf. Zehn Leute standen in der kleinen Wohnung und blickten die beiden Neuankömmlinge auf dem Flur forschend an. Ilona trat ein, begrüßte alle und stellte ihn vor.
»Er ist ein Freund von Hannes«, sagte sie. Sie schauten ihn an und nickten.
Ein Freund von Hannes, dachte er perplex. Wieso kannten diese Leute Hannes? Er war völlig konfus. Eine Frau aus der Gruppe trat vor und gab ihm die Hand.
»Weißt du, was passiert ist?«, fragte sie. »Weißt du, warum sie ihn relegiert haben?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte er. Er betrachtete die Gruppe. »Wer seid ihr?«, fragte er. »Woher kennt ihr Hannes?« »Ist euch jemand gefolgt?«, fragte die Frau Ilona.
»Nein«, sagte Ilona. »Tómas weiß nicht, was hier vor sich geht, und ich wollte, dass er es von euch hört.«
»Wir wussten, dass man Hannes observiert hat«, sagte die Frau. »Nachdem er sich geweigert hat, für sie zu arbeiten. Sie haben nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um ihn abschieben zu können.«
»Was wollten sie denn von ihm?«
»Sie nennen es Dienst an der SeD und den Werktätigen.« Ein Mann aus der Gruppe trat vor und ging auf ihn zu.
»Er war immer vorsichtig«, sagte der Mann. »Er hat stets darauf geachtet, nichts zu sagen, was ihn in Schwierigkeiten bringen konnte.«
»Erzählt ihm von Lothar«, sagte Ilona. Die Spannung hatte ein wenig nachgelassen. Einige setzten sich wieder. »Lothar ist Tómas’ Betreuer.«
»Ist euch jemand gefolgt?«, wiederholte einer aus der Gruppe und schaute Ilona besorgt an.
»Nein, niemand«, sagte sie. »Das habe ich euch doch gesagt. Ich habe aufgepasst.«
»Was ist mit Lothar?«, fragte er und konnte kaum glauben, was er hörte und sah. Er blickte sich in der kleinen Wohnung um und betrachtete die Leute, die ihn
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