Kafka am Strand
Nie wieder nehme ich einen Nachtbus. Auch wenn’s ein bisschen teurer ist, nächstes Mal fliege ich. Turbulenzen und Entführung hin oder her, ich fliege auf alle Fälle.«
Ich hole ihren Koffer und meinen Rucksack aus dem Gepäcknetz.
»Wie heißt du eigentlich«, erkundige ich mich.
»Wie ich heiße?«
»Ja.«
»Sakura«, sagt sie. »Und du?«
»Kafka Tamura.«
»Kafka Tamura«, wiederholt Sakura. »Seltsamer Name. Immerhin leicht zu merken.«
Ich nicke. Ein anderer Mensch zu werden ist nicht einfach. Aber einen anderen Namen bekommt man ganz leicht.
Nachdem sie ausgestiegen ist, stellt sie ihren Koffer ab, setzt sich darauf, nimmt aus dem kleinen Rucksack über ihrer Schulter ein Notizbuch und schreibt eilig mit Kugelschreiber etwas hinein. Sie reißt die Seite heraus und reicht sie mir. Darauf steht eine Telefonnummer.
»Das ist meine Handynummer«, erklärt sie mit gerunzelter Stirn.
»Ich wohne erst mal bei meiner Freundin, aber wenn du dich mit mir treffen willst, kannst du hier anrufen. Wir können ja mal zusammen essen. Ruf mich einfach an. ›Zwei Ärmel berühren sich‹ … So heißt es doch, oder?«
»›Am Rande des Schicksals‹«, ergänze ich.
»Ja, das«, sagt sie. »Was bedeutet das?«
»Alles ist Bestimmung aus einem früheren Leben – auch Belangloses geschieht auf dieser Welt nicht durch Zufall.«
Auf ihrem gelben Koffer sitzend, das Notizbuch in der Hand, denkt sie darüber nach. »Sehr philosophisch. Vielleicht gar keine schlechte Art zu denken, obwohl Wiedergeburt so nach New Age klingt. Also, Kafka Tamura, merk dir eins. Ich gebe nicht jedem so einfach meine Handynummer. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
Danke, sage ich, falte den Zettel mit ihrer Nummer und stecke ihn in die Tasche meiner Windjacke. Dann überlege ich es mir anders und schiebe ihn in meine Brieftasche.
»Wie lange bleibst du in Takamatsu?«, fragt Sakura. Das wisse ich noch nicht. Vielleicht würden sich meine Pläne bald ändern.
Sie sieht mir direkt ins Gesicht und nickt kurz, wie um »in Ordnung« zu sagen. Dann steigt sie in ein Taxi, winkt mir noch rasch zu und fährt davon. Ich bin wieder allein. Sie heißt Sakura; meine Schwester hat einen anderen Namen. Aber einen Namen kann man leicht ändern. Besonders, wenn man sich verstecken will.
Sicherheitshalber habe ich mir vorher ein Zimmer in einem Businesshotel in Takamatsu reserviert. Das YMCA in Tokyo hat mir dieses Hotel empfohlen. Über das YMCA zahlt man einen besonders günstigen Tarif, der aber nur für drei Tage gilt. Danach muss man den üblichen Preis bezahlen.
Um meine Ausgaben zu reduzieren, könnte ich auf einer Bank im Bahnhof schlafen. Es ist nicht kalt, sodass ich mit meinem Schlafsack auch in einem Park nächtigen kann. Wenn mich aber die Polizei erwischt, muss ich bestimmt meinen Ausweis vorzeigen. Solche Begegnungen will ich vermeiden, und daher habe ich für die ersten drei Nächte ein Hotel reserviert. Über das, was danach kommt, kann ich mir später noch den Kopf zerbrechen.
Ich gehe in ein Udon-Lokal am Bahnhof, das mir zufällig ins Auge fällt, um mich zu stärken. In Tokyo geboren und aufgewachsen, habe ich bisher nur selten Udon-Nudeln gegessen, und diese hier sind außerdem ganz anders als die, die ich bisher gegessen habe. Fest und frisch, und auch die Brühe duftet köstlich. Außerdem kosten sie verblüffend wenig. Weil sie mir so gut schmecken, nehme ich noch eine Portion, sodass ich mich hinterher so satt und wohl fühle wie schon lange nicht mehr. Anschließend setze ich mich auf eine Bank auf dem Bahnhofsvorplatz und schaue in den Himmel, der sich wieder aufgeklart hat. Ich fühle mich frei. Hier bin ich, allein und frei wie die am Himmel ziehenden Wolken.
Ich will mir die Zeit bis zum Abend in einer Bibliothek vertreiben. Daher habe ich mich schon vorsorglich nach den Bibliotheken in Takamatsu erkundigt. Seit meiner Kindheit halte ich mich regelmäßig in Bibliotheken auf, denn die Orte, an denen ein Kind sich aufhalten kann, wenn es nicht nach Hause will, sind begrenzt. Da Cafes und Kinos ausscheiden, bleibt nur die öffentliche Bücherei. Sie kostet keinen Eintritt, und keiner stößt sich daran, wenn ein Kind sie allein besucht. Man setzt sich einfach auf einen Stuhl und liest, was einem gefällt. Auf dem Heimweg von der Schule pflegte ich immer in der Stadtteilbibliothek Halt zu machen. Auch in den Ferien habe ich dort viel Zeit verbracht und nach und nach alles durchgeschmökert, was mir an
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