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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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klitschnass, wühlte die Bäche auf, ließ sie ansteigen und zog dann weiter. Da das Zelt auf dem Boden des ehemaligen Hauses stand, blieb es innen trocken, aber sie hörten, wie der Regen gegen die Bodenbretter klatschte, als ob er darum bat, hereinkommen zu dürfen.
    Bis Sunset und Karen sich schlafen legten, hatte der Regen die Luft angenehm abgekühlt, und sie wurden auch nicht von Moskitos behelligt. Sunset lag im Bett und lauschte, wie der Regen rachsüchtig Richtung Süden abzog. Sie dachte an den eingeölten Säugling in dem Gefäß nach und darüber, dass Pete sich die Mühe gemacht hatte, ihn zu begraben und das Wort SÄUGLING in das Kreuz einzuritzen.
    Eine liebenswerte Geste. Die ihm gar nicht ähnlich sah. Noch dazu, wenn er geglaubt hatte, der Säugling sei schwarz. Das war eine Seite an ihm, von deren Existenz sie nichts gewusst hatte und von der sie wünschte, sie hätte sie gekannt. Es war aber auch eine Seite an ihm, die sie verwirrte und die ihr verdächtig vorkam.
    Später hörte sie, wie die Zeltklappe aufgerissen wurde. Sie setzte sich auf und sah einen Mann am Zelteingang stehen. Er zog die Klappe immer weiter auf. Der Mond erhellte seine Züge. Es war Pete. Graberde rieselte von seinem Körper herab, und er war so stinksauer, dass er Essig hätte pinkeln können. Er zeigte mit dem Finger auf Sunset. Als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, quoll Erde heraus. Und dann schrie er.
    Sunset fuhr hoch. Sie starrte die Zeltklappe an. Sie war geschlossen und fest zugebunden. Draußen waren Grillen und Frösche zu hören. Es hatte aufgehört zu regnen. Sie war eingeschlafen und hatte gedacht, sie sei wach.
    Und dann hörte sie wieder einen Schrei.
    Es war nicht Pete. Es war ein Panther, der durch die Auwälder streifte. Pantherschreie konnten wie die einer Frau klingen. Der Panther hatte sie geweckt, nicht der tote Pete.
    Sie sah zu Karen hinüber, die tief und fest schlief. Sanft zog sie ihr das Laken bis zum Hals hoch. »Ich liebe dich«, sagte sie leise.
    Sie ließ sich auf die Matratze zurücksinken, döste unruhig vor sich hin und träumte wieder. Aber diesmal wusste sie, dass es sich um einen Traum handelte, und es war nicht so schlimm. Sie träumte, sie würde Pete die Waffe an die Schläfe setzen und abdrücken. Der Knall war durchdringend und angenehm, schnitt durch ihre Gedanken wie ein heller Lichtstrahl. Das Licht öffnete irgendwo tief in ihrem Inneren einen Spalt, und aus diesem Spalt drangen die Antworten zu vor langer Zeit gestellten Fragen, und in jenem Moment, jenem lieblichen, wundervollen Moment, wusste sie …
    Sie wurde wach. »Verdammt«, sagte sie. Und dachte: Beinahe hätte ich die Antworten gehabt. Gerade sollten sie mir enthüllt werden, die ganzen Verwicklungen des Universums, und ausgerechnet da werde ich wach.
    Die Zeltklappe bewegte sich. Sie griff nach dem Holster, das auf dem Boden lag, zog die Waffe heraus und zielte auf den Eingang. Es war der schwarzweiße Hund, der den Kopf unter der Zeltklappe hindurchstreckte. Er war völlig durchnässt. »Ganz ruhig, Junge«, sagte sie, aber beim Klang ihrer Stimme sprang der Hund davon. Sie legte die Waffe weg und wartete, ob er zurückkommen würde. Aber das tat er nicht.
     
    Am nächsten Morgen standen Karen und Sunset schon im Morgengrauen auf. Die Vögel sangen laut in den Bäumen, und irgendwo schimpfte ein aufgebrachtes Eichhörnchen. Karen entzündete im Herd ein Feuer, kochte Frühstückseier und toastete oben auf der Herdplatte Brot für Sunset und sich. Sunset beobachtete misstrauisch ihr Treiben. Zum ersten Mal seit Tagen zeigte Karen wieder an irgendetwas Interesse.
    Karen trug eimerweise Wasser von der Pumpe herbei, füllte es in einen größeren Eimer auf dem Herd um und goss das heiße Wasser dann in einen Waschzuber. Bis sie genügend Wasser beieinander hatte, dass der Zuber voll war, war das meiste bereits wieder abgekühlt, aber für ein Bad mit parfümierter Laugenseife und eine Haarwäsche reichte es allemal.
    Sobald Karen fertig war, durchlief Sunset das gleiche Ritual, wusch sich das Haar und kämmte es. Als Sunset Rock und Hemd überstreifte, sah sie, dass Karen bereits angezogen war und ihr Haar zu einer Art Dutt hochgesteckt hatte. Sie hatte eins der wenigen guten Kleider an, die sie besaß, eins, das ihr ihre Großmutter geschenkt hatte, bevor sie in das Zelt gezogen waren. Dazu trug sie ihre einzigen guten Schuhe. Sunset stellte außerdem fest, dass Karen ein wenig Lippenstift aufgetragen hatte,

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