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Kahlschlag (German Edition)

Kahlschlag (German Edition)

Titel: Kahlschlag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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der Stelle, wo sich der Friedhof befand. »Da ist er«, erklärte er. »Sie müssen ein Stück zu Fuß gehen. Mit dem Wagen kann man nicht ganz hinfahren.«
    »Danke«, sagte Sunset. »Du kannst jetzt zu Ende essen.«
    »Mr. Pete hat wohl den Falschen geschlagen, was?«, fragte Zendo.
    »An dem Tag schon«, entgegnete Sunset.
     
    Um zum Friedhof zu gelangen, mussten sie den Pick-up auf einer Lehmstraße neben einem Amberbaum stehen lassen und zu Fuß durch den Wald gehen. Obwohl die Blätter die Sonne abhielten, war die Luft unter den Bäumen feucht und schwer, und die Moskitos waren dicker als Nagelköpfe in einer Teerpappenhütte.
    »Wer kommt denn auf die Idee, einen Friedhof mitten im Wald anzulegen?«, fragte Karen. »Sind die nicht sonst immer direkt an der Straße?«
    »Es gibt Weiße, die finden es witzig, Friedhöfe von Farbigen zu schänden«, antwortete Clyde. »So kommen sie nicht so leicht hin.«
    »Gar nicht einfach, die Leichen zum Grab zu tragen«, sagte Hillbilly.
    »Vermutlich nicht«, entgegnete Clyde und zerquetschte einen Moskito.
    »Die Viecher fressen mich noch auf«, beschwerte sich Karen.
    »Wenn du willst, geh zurück und warte im Wagen«, schlug Sunset vor.
    Aber Karen wollte nicht. Endlich wurde der Wald lichter, und jetzt war auch ein Pfad zu erkennen.
    »Hat Zendo nicht gesagt, hier müssten wir links abbiegen?«, fragte Sunset.
    »So hab ich’s auch in Erinnerung«, stimmte Hillbilly zu.
    »Ja«, sagte Clyde. »Da muss man lang gehen. Allmählich erinnere ich mich wieder.«
    Nach einiger Zeit kamen sie auf eine große Lichtung, die aussah, als hätte man sie mit Macheten freigeschlagen. Direkt dahinter war ein Areal, in dem einige Steine aufragten. Auf dem Friedhof standen moosbewachsene Eichen, an denen Schlingpflanzen emporrankten und von den Zweigen herabhingen. Außerdem wuchsen dort Hartriegel und Geißblatt, das ein intensives Aroma verströmte. Bienen summten in den Blumen und um den Baum herum.
    Einige der Gräber lagen direkt unter den Bäumen, und bei manchen hatten die Wurzeln die Steine angehoben, sodass sie jetzt ganz schräg standen. Aber es war ein Ort, der sorgfältig gepflegt wurde; auf vielen Gräbern standen frische Blumen und auf anderen lagen Voodoo-Perlen und bunte Glasscherben. Auf einigen fanden sich sogar Einmachgläser mit einer Flüssigkeit darin.
    »Was ist in den Einmachgläsern?«, fragte Hillbilly.
    »Manchmal selbstgebrannter Schnaps«, antwortete Clyde. »Den bringen sie den Toten dar.«
    »So ein Blödsinn«, sagte Hillbilly. »Und was für eine Verschwendung.«
    Darüber musste Karen lachen.
    Hillbilly grinste sie an. »Anstatt ihn hier zu vergeuden, könnten Karen und ich ihn trinken, nicht wahr, Kleine?«
    Wieder lachte Karen.
    »Karen trinkt nicht«, sagte Sunset.
    »Natürlich nicht«, entgegnete Hillbilly. »War doch nur ein Witz.«
    Schließlich fand Sunset ein Grab mit einem Kreuz, das aus billigem Nutzholz und zwei Nägeln zusammengezimmert war. Daneben lagen die Scherben eines Tongefäßes. Auf dem Kreuz stand: SÄUGLING.
    »Das hat Pete gemacht«, sagte Sunset. »Ich erkenne es daran, wie er die Gs geschnitzt hat. Wie bei seiner Handschrift. Er muss das Gefäß zerbrochen haben, um den Säugling rausholen zu können. Vielleicht hat es aber auch später jemand anders zerbrochen.«
    »Daddy war gar nicht so schlecht«, bemerkte Karen. »Du siehst ja, wie er mit dem Säugling umgegangen ist.«
    Hillbilly erschlug einen Moskito. »Für was sind wir eigentlich den ganzen Weg hierher gelatscht? Wenn ihr mich fragt, für nichts.«
    »Wir könnten dem Säugling einen Namen geben«, schlug Clyde vor. »Den könnten wir dann auf das Kreuz schreiben. Wir könnten ihn zum Beispiel Snooks nennen.«
    »Nein, können wir nicht«, widersprach Sunset. »Außerdem wissen wir ja nicht mal, ob er männlich oder weiblich war.«
    »Mir gefällt Snooks trotzdem«, erwiderte Clyde. »Das geht für beides, Junge und Mädchen. Gefällt dir Snooks, Hillbilly?«
    »Nein.«
    »Mann, du heißt Hillbilly. Was hast du da gegen Snooks?«
    »Hillbilly ist ein Spitzname. Und frag mich nicht nach meinem richtigen, den sag ich nämlich nicht. Was wissen wir jetzt Neues, Sunset? Wozu war der Ausflug gut?«
    »Das weiß ich noch nicht. Kehren wir um.«
     
     

KAPITEL 10
     
     
    Am Abend, bevor Sunset und Karen ins Bett gingen, prasselte ein Regenschauer nieder nicht unähnlich dem, der auf Noahs Arche niedergegangen war, aber er hielt nicht lange an. Er machte nur alles

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