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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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konnte: »Ich habe dich gefragt, wer du bist!«
    »Ich bin ein Bekannter von Liesel Ost«, sagte ich leise, »und ich soll den Koffer holen, den sie Ihnen zur Aufbewahrung gegeben hat.«
    Da schrie er los: »Hast du mich nicht verstanden: ich habe keinen Koffer! Du willst mich wohl drankriegen, was?«
    Ich hörte, wie auf allen Stockwerken Türen geöffnet wurden. Eine Männerstimme rief durch das Treppenhaus: »Was ist los da oben?«
    »Nichts, nichts«, antwortete er und beugte sich schräg über das Treppengeländer, »ich werd mit dem Kerl schon allein fertig.« Und zu mir gewandt: »Also, was ist? Willst du immer noch einen Koffer?« Er beugte sich noch etwas mehr zu mir herunter: »Verschwinde bloß, sonst kann ich verdammt ungemütlich werden!«
    Ich war nicht imstande, mich zu rühren. Er faßte mich an der Schulter. »Bist du dumm, daß du nicht verstehst: ich habe nichts mit den Kommunisten zu tun! Nun hau endlich ab, sonst hol ich die Polizei!«
    Jetzt hatte ich ihn verstanden. Wie benommen ging ich die Treppe hinunter. Auf allen Stockwerken standen Neugierige und starrten mich an. Niemand sagte etwas. Niemand hielt mich auf. Ich mußte mich am Geländer festhalten, so schwach fühlte ich mich. Als ich schon fast unten war, rief er mir noch nach: »Verdammtes Kommunistenschwein!« An den spielenden Kindern auf der Vortreppe vorbei gelangte ich nach draußen.
     
    Als ich Mama erzählte, was sich in der Kleinen Hochstraße abgespielt hatte, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. »Wer hätte ihm das zugetraut!«
    Ich mußte ihr die ganze Geschichte noch mal erzählen.
    »Und weißt du, ob er dich erkannt hat?« »Das weiß ich nicht, er hat nichts gesagt.« »Hat er nach deinem Namen gefragt?«
    »Nein.«
    »Wer dich geschickt hat?« »Nein, nichts hat er gefragt.«
    Dann stieß Mama die stärksten Beschimpfungen aus, die sie kannte: »So ein Chaser (: Schwein)! Brennen soll er! In d'r Erd soll er gehen!«
    Zwei Tage später fuhr ich mit den Briefen und Päckchen und ohne den Koffer nach Paris. Die Reise verlief ohne Zwischenfälle.
    Liesel Osts Koffer ist nie mehr aufgetaucht. Sie selbst starb 1944 einen schrecklichen Tod. Während der deutschen Besetzung war sie aktiv in der französischen Widerstandsbewegung, dem Maquis, tätig und leistete Kurierdienste. Sie wurde 1944 von der SS gefaßt. Man glaubte, aus ihr wichtige Informationen über den französischen Widerstand herausbekommen zu können und folterte sie. Liesel Ost schwieg und wurde zu Tode gefoltert. Als später ihre zerschundene Leiche in einem verlassenen Bauernhaus in der Nähe von Lyon gefunden wurde, entdeckte man, daß die SS-Leute sie vor dem Tode geblendet hatten.
     
    In meiner Erinnerung gibt es viele Bruchstücke, die ich nicht mehr zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen kann, obwohl die erhalten gebliebenen Einzelheiten auf wichtige Begebenheiten hindeuten.
    So ließ sich beispielsweise eine Frau immer wieder kleinere Geldbeträge von Mama geben, drei, fünf oder auch mal zehn Mark; und Mama hatte große Angst vor ihr, war stets sehr aufgeregt, wenn diese Frau im Haus war, und gab ihr das Geld. Verschiedenen Bemerkungen entnahm ich, daß sie über unsere jüdische Abstammung Kenntnis haben mußte, obwohl Mama nie mit mir darüber sprach. Dann steht mir noch das Bild eines Mannes vor Augen, der genau in der Stunde von der Polizei aus seiner Wohnung geholt wurde, als Papa und ich ihn besuchten. Wer er war und welcher Zusammenhang mit unserer Familie bestand, weiß ich nicht mehr. Auch habe ich keine Erklärung dafür, warum Papa und ich unbehelligt blieben.
    Ich erinnere mich auch an eine Chanukkafeier der Israelitischen Gemeinde im Baumweg, an der ich teilnahm. Plötzlich drangen Hitlerjungen in den Saal ein, postierten sich ringsum an den Wänden und skandierten: »Juden raus!« und »Haut nach Palästina ab!« Die Feier wurde abgebrochen, und wir mußten nach Hause gehen.
    Auch den folgenden Vorfall, durch den unsere Familie in große Gefahr geriet, kann ich weder chronologisch noch sonstwie einordnen. An einem kalten Dezembertag - es kann 1937 oder 1938 gewesen sein - kam ein Mann in unsere Wohnung, zeigte uns seine Entlassungspapiere aus dem Zuchthaus Butzbach und bat, einige Tage bei uns bleiben zu dürfen, weil er noch einige private Dinge in Frankfurt zu erledigen habe, dann wolle er nach Nürnberg Weiterreisen. Als Referenz nannte er den Namen eines uns gut bekannten Kommunisten, der ebenfalls in Butzbach saß.

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