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Kaiserhof Strasse 12

Kaiserhof Strasse 12

Titel: Kaiserhof Strasse 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Senger
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machten das Unternehmen für mich nicht riskanter. Ich erinnere mich an einen Brief für den Arzt Sely Hirschmann und mehrere Schriftstücke von Eva Steinschneider, die noch in Frankfurt wohnte, an ihren Mann, einen früher bekannten Strafverteidiger, der emigrieren mußte, nicht nur weil er Jude war, sondern auch weil er vor 1933 viele politische Prozesse geführt hatte.
    Und da war schließlich noch ein kleiner Handkoffer. Zwei Tage vor der Abreise wurde beschlossen, daß ich diesen Koffer mit nach Paris nehmen solle. Mamas Freunde waren der Meinung, eine günstigere Gelegenheit werde es so schnell nicht wieder geben. Der Koffer gehörte der Buchhändlerin Liesel Ost, die nicht weit von uns, in der Hochstraße, mit einem rumänischen Juden zusammengelebt hatte. Wegen ihrer Verbindung zu einer illegalen Gruppe war sie von der Gestapo beschattet worden. Ende 1935 packte sie das Notwendigste zusammen, um mit ihrem Freund nach Frankreich zu fliehen. Sie legte ihren Schmuck, einige persönlichen Dinge und ein Sparkassenbuch mit einem hohen Betrag, den sie nicht mehr rechtzeitig hatte abheben können, in einen kleinen Koffer. Diesen Koffer ließ sie bei einem Genossen zurück, der in der Kleinen Hochstraße wohnte und bereit war, ihn so lange aufzubewahren, bis sich eine günstige Gelegenheit bot, ihn nach Frankreich zu schaffen.
    Die Nacht vor der Abreise an die französische Grenze verbrachten Liesel Ost und ihr Freund bei uns, weil in ihrer Wohnung inzwischen eine Haussuchung stattgefunden hatte und sie fürchtete, noch im letzten Augenblick verhaftet zu werden. An diesem Abend hatte Liesel Ost Mama den Kodesatz für die Übergabe des Koffers anvertraut. Dieser Satz hieß: »Ich komme aus Augsburg.«
     
    Nicht genug, daß ich den Koffer über die Grenze bringen sollte, Mama schickte mich auch noch in die Kleine Hochstraße, um ihn dort abzuholen.
    Die Kleine Hochstraße ist nur einen Katzensprung von der Kaiserhofstraße entfernt. Ich ging also los. Etwa in der Mitte der kurzen Straße, schräg gegenüber dem heutigen »Club Voltaire«, fand ich das Haus Nummer 8.
     
    Das steile Treppenhaus war dunkel, und die abgetretenen Stufen knarrten bei jedem Schritt. Der Genosse, der den Koffer in Verwahrung hatte, wohnte im Mansardenstock. Mama kannte ihn von früher, hatte aber in letzter Zeit keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. Oben mußte ich eine Treppenstufe tiefer stehen bleiben, weil die Treppe ohne Absatz bis zur Wohnungstür führte. Ich holte tief Luft und drehte an der Klingel, die wie eine Fahrradglocke tönte. Niemand öffnete. Noch einmal kurbelte ich, diesmal stärker. Schon wollte ich die Treppe wieder hinuntergehen, da hörte ich von innen eine Tür und sich nähernde Schritte. Die Wohnungstür öffnete sich, aber nur so weit, daß eine innen angebrachte Vorhängekette sich strammzog. Über mir erschien im Spalt zwischen Türkante und Rahmen der Kopf einer Frau.
    »Guten Tag. Ist Ihr Mann da?«
    »Was wollen Sie von ihm?«
    »Ich muß mit ihm sprechen.«
    »Mein Mann ist krank.«
    »Es ist sehr dringend.«
    »Können Sie nicht ein andermal wiederkommen?«
    »Das geht nicht. Aber es dauert bestimmt nicht lang.«
     »Warten Sie.«
    Die Tür schlug ins Schloß und ich stand auf der Treppenstufe und wartete, ich weiß nicht, wie lange. Ich begann zu schwitzen. Endlich ging die Tür auf, aber wieder nur so weit, wie es die Vorhängekette erlaubte. Ein Mann in einem zerschlissenen blauen Bademantel schaute heraus. Ich glaubte, sein Gesicht zu kennen.
    »Was willst du?« fragte er mißtrauisch.
    »Ich komme aus Augsburg.«
    »Na und? Was soll das heißen?«
    »Liesel Ost hat mich beauftragt.«
    In diesem Augenblick ging eine Veränderung in ihm vor. Es war wie ein Erschrecken. »Liesel Ost?« fragte er, »dich hat Liesel Ost geschickt? Was will sie?«
    Ich wiederholte meinen Kodesatz: »Ich komme aus Augsburg. Liesel Ost hat mich beauftragt -« Und nach einer kleinen Pause fügte ich hinzu: »Sie können mir vertrauen.«
    »Was heißt vertrauen?«
    »Ich soll den Koffer holen.«
    »Was für einen Koffer? Ich habe keinen.«
    »Den Koffer von Liesel Ost.«
    »Ich habe keinen.«
    »Sie müssen den Koffer doch haben.«
    »Ich muß? Was fällt dir ein? Wer bist du überhaupt?« Seine Stimme wurde laut, er nestelte erregt an der Vorhängekette herum und öffnete die Tür weit. Barfuß stand er eine Treppenstufe über mir, eine Faust in die Hüfte gestemmt. Er sprach so laut, daß man es im ganzen Treppenhaus hören

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