Kaisertag (German Edition)
Helme ausgegeben. Die Sonderbrigade hingegen sah man nie anders als in Feldgrau. Hinzu kam, dass sie statt der Pickelhaube den glatten Stahlhelm trug, der vom Rest der Armee höhnisch verschmäht wurde. Die Soldaten der Sonderbrigade waren überdies nicht mit schweren Karabinern bewaffnet, sondern mit kurzen, bedrohlich wirkenden Mauser-Maschinenpistolen, die sie ständig im Anschlag hielten. Die Männer dieser Spezialtruppe wurden aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Fähigkeiten aus regulären Einheiten ausgewählt, um extrem wertvolle Einrichtungen im ganzen Reichsgebiet zu schützen. Darüber hinaus bildeten sie eine Kampftruppe, die zu jedem nur denkbaren Zweck eingesetzt werden konnte. Sie waren die perfekten Soldaten. Und gerade das machte sie nicht nur für Friedrich Prieß unheimlich.
Die Schranke hob sich, der Lastwagen setzte sich wieder in Bewegung und fuhr zwischen den Stacheldrahtverhauen und Spanischen Reitern hindurch. Sofort danach senkte sich der Schlagbaum wieder. Ein Unteroffizier mit kantigem Kinn trat an Prieß’ Auto heran. Hinter ihm standen zwei seiner Kameraden mit schussbereiten Maschinenpistolen.
»Papiere!«, bellte der Unteroffizier. Prieß reichte ihm durch das offene Seitenfenster seinen Ausweis. Der Soldat blätterte darin, verglich das Passfoto mit dem Gesicht des Mannes im Wagen und sagte dann: »Sie haben keine Zugangsberechtigung für diese Anlage. Was wollen Sie?«
»Ich möchte den Kommandanten, General Otto von Deuxmoulins, sprechen.«
»Warum?«
»Ich bin Privatdetektiv und untersuche im Auftrag von Angehörigen den Tod eines seiner Untergebenen. Daher würde ich, falls es seine Zeit zulässt, gerne mit dem Herrn General reden.« Jeder Versuch, das Militär genauso zu täuschen wie die Leute in Groß Grönau, hätte schlimme Folgen haben können. Daher hatte Friedrich Prieß sich entschlossen, seine Karten auf den Tisch zu legen, so weit es ihm vertretbar erschien.
»Ein Privatdetektiv?« Der Unteroffizier runzelte kräftig die Stirn. »Warten Sie und verlassen Sie das Fahrzeug nicht!«
Der letzte Satz war überflüssig, denn angesichts eines guten Dutzends auf ihn gerichteter Waffen vermied Prieß ohnehin jede unnötige Bewegung. Der Soldat verschwand in der Wachbaracke. Nach nicht einmal zwei Minuten kam er wieder und gab Prieß den Ausweis zurück: »Der Herr General ist beschäftigt. Kommen Sie am Sonnabend um neun Uhr vormittags wieder, dann wird er Sie empfangen.«
Prieß war erstaunt. Er hatte eigentlich erwartet, höchstens an einen subalternen Adjutanten verwiesen oder einfach abgewiesen zu werden. Aber dass sich ein leibhaftiger General herablassen würde, ihm eine Unterredung zu gewähren, hätte er nicht gedacht. Ihm fehlte allerdings die Zeit, sich darüber zu wundern, denn der Unteroffizier signalisierte ihm mit einem barschen Schwenken des Arms, dass er jetzt unverzüglich wenden und den Bereich des Haupttors verlassen sollte. Und das tat Prieß auch, so schnell er konnte.
Hatte er am Forschungsinstitut eine angenehme Überraschung erlebt, so wurde Prieß’ aufkeimender Zuversicht schon eine Viertelstunde später ein herber Dämpfer versetzt. In der Herderstraße 11 hatte Oberst Diebnitz die obere Etage einer ansehnlichen alten Villa bewohnt. Prieß wollte der Hausbesitzerin einige Fragen stellen, aber so weit kam er gar nicht. Sie öffnete die Haustür nur eine Handbreit, und aus dem schmalen Spalt blickten dem Detektiv zwei argwöhnisch funkelnde Augen entgegen.
»Verzeihen Sie bitte die Störung«, begann er, »aber Sie sind vermutlich Frau Dorothea Wehnicke?«
»Das stimmt«, antwortete die alte Frau auf der anderen Seite der Tür, »und wer sind Sie?«
»Ich bin … ich würde mit Ihnen gerne über Herrn Diebnitz sprechen, der bei Ihnen …«
»Sind Sie von der Polizei?«
Das musste Prieß verneinen, und sofort entgegnete die Frau mit Bestimmtheit: »Dann gehen Sie und belästigen mich nicht!«
Noch bevor Prieß ein weiteres Wort herausbrachte, wurde die Tür zugeschlagen. Für einen Moment überlegte er, ob er nochmal klingeln und einen neuen Anlauf versuchen sollte. Aber er sah schnell ein, dass er sich nur eine weitere Abfuhr einhandeln und am Ende sogar Probleme mit der Lübecker Polizei bekommen würde. Das war wirklich das Letzte, was er brauchen konnte. Andererseits würde er früher oder später mit Dorothea Wehnicke reden müssen. Prieß wollte so viel wie möglich über Diebnitz’ Gewohnheiten und sein Verhalten in den
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