Kaisertag (German Edition)
bitte hilf mir, nur ein wenig. Ich will da raus, ich will da endlich raus, sonst gehe ich vor die Hunde! Ich halte dieses Leben nicht mehr länger aus!«
Sie hatte zunächst die Hände sofort zurückziehen wollen, aber sie konnte es nicht tun. Sie wusste, dass Friedrich Prieß diesen Ausbruch aufgestauter Verzweiflung nicht spielte, dass alles echt war.
Für einige endlos erscheinende Sekunden herrschte Stille; nur das Kreischen einer kreisenden Möwe drang durch das offene Fenster. Dann sagte Alexandra Dühring: »Im Augenblick stecke ich bis zum Hals in Arbeit. Aber wenn du heute Abend Zeit hast, will ich sehen, was ich für dich tun kann. Ich wohne am Friedrich-Wilhelm-Platz 1. Du kannst mich gegen sieben Uhr abholen, wir gehen dann essen und reden in aller Ruhe weiter. Gut?«
Prieß nickte. »Gut«, antwortete er leise. Als er merkte, dass er immer noch ihre Hände umklammert hielt, ließ er schnell los.
»Und jetzt wäre ich dir dankbar, wenn du mich alleine lassen könntest. Die Planungen für den Kaisertag sind ein einziger Krampf, dafür brauche ich Ruhe«, fügte die Polizeipräsidentin hinzu.
»Ja, natürlich. Ich danke dir. Wir … ich werde also um sieben bei dir sein …« Er erhob sich aus dem Sessel und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal zu Alexandra Dühring um, aber sie war bereits wieder in den Aktenstapel auf ihrem Schreibtisch vertieft.
Prieß verließ das Zeughaus und trat wieder an die frische Luft, das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen erschien ihm weich wie Gummi. Erst jetzt begann sein Puls, sich langsam wieder zu beruhigen, und er spürte, wie das Hemd feucht vom Schweiß auf seiner Haut klebte. Der helltönende Schlag, mit dem die Glocke im Dachreiter des Doms verkündete, dass es halb zwei war, ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Diese Begegnung nach so langer Zeit hatte ihn sehr mitgenommen, und nun konnte er auch den Erinnerungen nicht mehr ausweichen. Ein Teil von ihm konnte es kaum abwarten, Alexandra am Abend wiederzusehen. Und der andere Teil wünschte sich, der Abend würde nie kommen.
Prieß wischte sich mit dem Handrücken die kalte Nässe von der Stirn und ging die enge Gasse hinunter zum Ufer der Trave, um ungestört seine miteinander kämpfenden Gefühle und Gedanken in den Griff zu bekommen.
Das weit über Lübeck hinaus bekannte Restaurant Schabbelhaus machte seinem Ruf wie immer alle Ehre. Der Service war zuvorkommend, aber nicht aufdringlich, das alte Patrizierhaus strahlte eine sehr hanseatische Atmosphäre zurückhaltender Gediegenheit aus. Trotzdem war Prieß nicht recht wohl in seiner Haut. Daran war nicht so sehr die ungewohnte Umgebung schuld; selbst der unbequeme Leihsmoking störte ihn nicht wirklich. Vielmehr bewirkte Alexandras Nähe, dass er sich unbehaglich fühlte. Er wusste das, und es erschien ihm dumm. Schließlich gab sie sich merklich alle Mühe, ihm die Beklemmung zu nehmen; die beinahe eisige Distanz, die sie einige Stunden zuvor an den Tag gelegt hatte, war verschwunden. Statt der nüchternen Uniform trug sie nun ein schlichtes dunkles Abendkleid, in dem ihr Aussehen Prieß’ Erinnerungen sogar noch übertraf.
Der befrackte Oberkellner hatte die Polizeipräsidentin und den Detektiv mit ausgesuchter Höflichkeit empfangen und sie auf Alexandras Bitte hin sofort zu einem ruhigen Tisch geführt. Gleich darauf war sogar der Geschäftsführer erschienen, um sich persönlich nach den Wünschen seiner Gäste zu erkundigen.
»Frau Polizeipräsidentin, mein Herr. Es ist mir immer eine Ehre, Sie in unserem Hause begrüßen zu dürfen«, sagte er und neigte den Kopf zu einer angedeuteten Verbeugung.
»Vielen Dank, Herr Altfeld«, entgegnete Alexandra Dühring. »Wir möchten gerne etwas Leichtes essen. Ich denke, der Geflügelsalat nach Ratsherrenart wäre als Vorspeise genau das Richtige.«
»Sehr gerne, Frau Polizeipräsidentin. Welchen Wein darf ich Ihnen dazu bringen?«
»Oh, ich glaube, das kann ich ganz unbesorgt Ihnen überlassen. Sie werden zweifellos den passenden Wein auswählen, wie immer.«
Der Geschäftsführer bedankte sich für das Vertrauen und entfernte sich.
»Ganz offensichtlich erfreust du dich in dieser Stadt großer Wertschätzung«, sagte Prieß beeindruckt.
Sie zuckte leicht mit den Schultern. »Ja, jetzt vielleicht. Aber das war nicht immer so. Zu Anfang war es oft wie ein endloser Spießrutenlauf, bei dem man mich auf subtile Weise immer wieder spüren ließ, wie wenig ernst man eine Frau als
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