Kalle Blomquist
Flugzeug. Immer noch sitzt der Professor mit dem Piloten, der ihn bewacht, in der Maschine. Sonst ist niemand mehr da.
»Anders«, flüstert Kalle, »borg mir dein Messer.«
Anders zieht das Lappenmesser aus dem Gürtel.
»Was hast du vor?« flüstert er zurück.
Kalle betastet prüfend die Messerschneide.
»Sabotage!« sagt er. »Sabotage am Flugzeug. Habe ich mir gerade eben ausgedacht.«
»O ja, du, mit dem buckligen Schädel ist das tadellos ausgedacht«, flüstert Anders ermunternd.
Kalle hat die Kleider ausgezogen.
»In einer Minute oder so – einige kräftige Schreie«, sagt er zu den anderen, »damit der Pilot abgelenkt wird.«
Kalle macht sich auf den Weg. In weitem Bogen schleicht er zwischen den Bäumen zur Anlegestelle. Und als Eva-Lotte und Anders ihren Indianerschrei ausstoßen, springt er die freiliegen-den Meter bis zum Steg und schlüpft ins Wasser. Er hat richtig gerechnet, der Pilot blickt wachsam in die Richtung, aus der der Schrei kam, und sieht deshalb den schlanken Jungenkörper nicht, der wie ein Blitz vorbeischießt.
Kalle schwimmt unter der Brücke. Lautlos, wie es so oft im Krieg der Rosen geübt worden ist. Dann von der Brücke aus noch einige Schwimmstöße unter Wasser, und er hat das Flugzeug erreicht. Vorsichtig sieht er nach oben. Der Pilot ist durch die offene Kabinentür zu sehen. Er sieht auch den Professor, und, was mehr ist, der Professor sieht ihn. Noch immer starrt der Pilot zum Wald hin, ohne etwas zu entdecken. Kalle hebt das Messer und macht einige stechende Bewegungen in die Luft hinein, damit der Professor versteht, was er vorhat.
Der Professor versteht. Er begreift sofort, was er selbst zu tun hat. Wenn Kalle mit dem Messer am Flugzeug etwas vorhat, wird ohne Zweifel einiges Geräusch entstehen, das dem Piloten nicht entgehen kann, falls er nicht von einem noch stärkeren Geräusch abgelenkt wird. Der Professor übernimmt also die
»noch stärkeren Geräusche«, Er fängt an zu schreien und zu lärmen und stampft mit den Füßen auf dem Kabinenboden herum. Der Pilot mag gerne glauben, daß der Professor verrückt geworden ist – daß er es noch nicht ist, wundert ihn selbst.
Beim ersten lauten Schrei seines Gefangenen fährt der Pilot erschrocken hoch. Es erschreckt ihn, weil es so unerwartet kommt. Und weil er einen Schreck bekommen hat, wird er böse.
»Halt’s Maul!« sagt er in einem eigentümlich fremden Tonfall. Er kann nicht viel Schwedisch. Aber so viel kann er jedenfalls. »Halt’s Maul, du!« sagt er noch einmal, und der eigentümliche Tonfall macht, daß es eigentlich recht gemütlich wirkt.
Aber der Professor schreit und trampelt nur noch heftiger.
»Ich mache Lärm, so viel ich will!« schreit er, und er empfindet es jetzt als etwas sehr Schönes, zu trampeln und Krach zu machen. Es erleichtert die Anspannung seiner Nerven.
»Halt’s Maul, du«, sagt der Pilot, »oder ich schlage Nase ab von dir!«
Der Professor aber schreit, und unten im Wasser arbeitet Kalle, schnell und mit Methode. Genau vor sich hat er den linken Schwimmer, und er stößt das Messer wieder und wieder durch das leichte Metall, bohrt und stößt überall dort, wo er hinlangen kann. Und bald sickert das Wasser durch die vielen kleinen Löcher. Kalle ist mit seiner Arbeit zufrieden.
»Ja, ja, ihr hättet schon Nutzen von dem unzerstörbaren Leichtmetall«, denkt er. »Jedenfalls hier hättet ihr es gut gebrauchen können.« Dann schwimmt er wieder zurück.
»Halt’s Maul, du!« sagt der Pilot. Und diesmal gehorcht sein Gefangener.
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Es ist sechs Uhr morgens, ein Dienstag und laut Kalender der erste August. Über Kalvö scheint die Sonne, das Wasser ist blau, das Heidekraut beginnt schon zu blühen, und das Gras ist feucht vom Tau. Da hören sie einen Schuß! Irgendwo im Wald hat jemand geschossen. Weit weg, sehr weit weg. Aber in der Stille des Morgens ertönten der Schuß und das Echo laut und unheilverkündend, und der Knall traf die Trommelfelle so schmerzhaft deutlich und scharf, daß einem davon himmelangst wurde.
Man wußte ja nicht, welches Ziel diese Kugel getroffen hatte.
Man wußte nur, daß Rasmus und Nicke sich dort mit einem furchtbaren Menschen, der bewaffnet war, aufhielten. Und man konnte nichts dagegen tun. Nur warten, wenn man auch nicht wußte, worauf. Warten, daß irgend etwas geschah, was diese entsetzliche Situation veränderte. Warten in alle Ewigkeit! Es war, als ginge eine Lebenszeit vorbei. Sollte es immer so bleiben:
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