Kalt ist der Abendhauch
herein, um seine Kollegmappe zu holen. Ich mustere ihn beunruhigt. Was hat sie ihm erzählt?
Er berichtet bloß, daß er Cora demnächst in der Toskana besuchen werde. »So ein Angebot kann man sich nicht entgehen lassen.«
Zaghaft frage ich, ob seine Freundin Susi auch mitkommen wird.
Eventuell.
Hugo und ich sind abermals allein; es geht ihm wieder ausgezeichnet. Unser gemeinsamer Enkel ist mein ganzer Stolz, Hugo favorisiert Cora. So schnell, wie sie da waren, sind sie wieder ausgeflogen.
»Was hältst du von der italienischen Frau?« frage ich.
»Ein gutes Gesicht«, sagt er, »bäuerlich, mit gesundem Menschenverstand ausgestattet; es ist beruhigend, wenn man das junge Ding in ihrer Obhut weiß.«
»Aber warum ist ihr Mann nicht dabei? Wenn sie wiederkommen, wollen sie doch eigentlich... Und hoffentlich hat Cora dem arglosen Felix nichts verraten!« Ich bin immer noch verwirrt.
»Der Mann hebt inzwischen die Grube aus«, mutmaßt Hugo, »aber wieso wird Cora uns abholen? Eigentlich wollte sie doch alles ohne uns, nur mit Hilfe der Mafia, erledigen!«
Ich kann es auch nicht erklären. Abgesehen davon ist es mir nicht recht, Ulrichs Haus zu betreten, wenn weder er noch meine Schwiegertochter anwesend ist. Bei Regine oder Veronika wäre das kein Problem, aber Evelyn ist etwas eigen.
»Heidemarie hat sich seit drei Tagen nicht gemeldet«, bemerkt Hugo kläglich.
Sind wir im Kindergarten? Nein, er könne nicht telefonieren, er höre zu schlecht, man müsse doch erst die Zentrale der Kurklinik anrufen...
Seufzend greife ich zum Hörer.
Heidemarie ist munter, es geht ihr gut. Sie hat gerade zu Mittag gegessen, ob ich schon gekocht hätte? »Wir sind eben erst mit dem Frühstück fertig«, sage ich und sehe auf die Uhr. Zwölf.
Natürlich kommt die Frage nach den Medikamenten. Vor lauter Enkeln, Schwestern, Kindern, Bettgeschichten und Aufregungen bin ich etwas verlottert; der regelmäßige Rhythmus unserer Mahl- und Pilleneinnahme ist abhanden gekommen. Heidemarie ermahnt mich freundlich, aber anscheinend ist sie innerlich nicht bei der Sache. »Wir besichtigen heute wieder einen Klostergarten,« sagt sie, »beim letzten Mal ging es um ganz einfache Heilkräuter, Kamille, Pfefferminze, Thymian. Diesmal kommt Lektion zwei: Augentrost, Schöllkraut, Mariendistel zum Beispiel. Ich werde meine Eßgewohnheiten grundlegend umstellen, auch Papa wird später davon profitieren.«
Hugo schüttelt den Kopf. »Muß wohl ein Garten ohne Käfer sein. Woher haben meine Töchter diesen Gesundheitsfimmel? Von mir nicht, von Ida bestimmt nicht und von dir erst recht nicht.« Er behauptet, eine hochmusikalische Mutter besessen zu haben, deren Begabung an keinen einzigen der Nachkommen weitergegeben wurde.
»Vererbung ist nicht alles, man ist längst davon abgekommen«, tröste ich.
»Nein«, beharrt Hugo, »nach dem Krieg wollte man natürlich nichts mehr mit der ganzen Erbgutideologie zu tun haben, aber inzwischen hat man die Dinge wieder zurechtgerückt. Du wirst wohl nicht ernstlich bestreiten, daß es verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Familienmitgliedern gibt, meine Mutter und Regine sind der beste Beweis.«
Wir sind nahe daran, uns über Nichtigkeiten zu streiten, dabei sind wir im Grunde einer Meinung.
»Soll Bernhard in einen Sack, oder wie hat sie sich das gedacht?« fragt Hugo abrupt. Er hat meine Gedanken erraten.
Gemeinsam begehen wir die Zimmer im Erdgeschoß und begutachten meinen und seinen Koffer, die Kommode, einen Wäschesack, Teppiche. Im Keller steht noch ein großer Karton, aber ob Pappe geeignet ist? Schließlich hocken wir wieder vor dem Fernseher und sehen eine Kindersendung.
Cora und Emilia kommen um sechs und tragen einen altmodischen Schließkorb. Ich erkenne sofort, daß das Format für unsere Zwecke untauglich ist. Aber bevor ich den Mund aufmachen kann, umarmt mich Cora mit nie gezeigter Herzlichkeit, so daß ich vor Glück alle Fragen vergesse.
»Vielleicht solltest du dich umziehen, Oma«, meint sie.
Schon lange trage ich Hugos wegen kein Blümchenkleid mehr, sondern bin zu meinem guten alten, praktischen, grasgrünen Jogginganzug zurückgekehrt.
Was erwartet sie? Soll ich einen braunen Erdarbeiter-Overall überziehen?
Sie grinst. »Es geht schließlich um eine Beerdigung«, sagt sie, »ich dachte, am Grabe meines Großvaters solltest du Schwarz tragen.«
Da hat sie recht, ich bin beschämt und eile sofort zum Kleiderschrank.
Als ich mein schwarzes Kostüm, das ich zuletzt bei
Weitere Kostenlose Bücher