Kalt ist der Abendhauch
eine Berufsmiene auf und prüft im Bad die Wassertemperatur, die anscheinend zu ihrer Zufriedenheit ausfällt. Hugo muß daran glauben.
Ich höre die beiden kindisch lachen, die Tür ist nicht geschlossen. Kann ich einen Blick riskieren? Du solltest dir lieber deine Illusionen bewahren, warnt mich Hulda.
Als Hugo nach einer halben Stunde in einem frischen Schlafanzug wieder eintritt, riecht die ganze Wohnung nach nassem Hund. Regine putzt die Badewanne, schneidet Fußnägel, setzt Teewasser auf und schmiert Quark- und Leberwurstbrote. Besser könnte es auch Heidemarie nicht machen: Wie zwei artige Kinder werden wir verwöhnt. Auf einmal stelle ich mir ein Altersheim nicht mehr als Höllenschlund vor.
Unsere Tochter empfiehlt uns noch ein Musical im Fernsehen, betrachtet zufrieden den Anblick von Vater und Mutter beim Malventee und verläßt uns. Wahrscheinlich hat sie sich ihr Leben lang nach einer solchen Idylle gesehnt und würde es begrüßen, wenn wir sie jetzt noch zu einem ehelichen Kind machen würden.
Der schwerhörige Hugo will tatsächlich das Musical sehen. Gut gelaunt bemerkt er: »Schmissig!«
Dieses Modewort unserer Jugend! Ich habe es schon längst aus meinem Vokabular gestrichen, weil meine Enkel wohl wenig damit anfangen können. Ich sitze neben ihm und denke an ganz andere Dinge. Früher habe ich einmal gelesen, daß romantische Liebe mit gemalten Herzen, goldenen Ringen, Nachtigallen, Rosen und Vergißmeinnicht eine verlogene Erfindung der Neuzeit sei. Auch ich bin in diesem Geiste groß geworden und kann mich immer noch nicht vom Ideal der einzigen großen Liebe lösen. Da liegt er nun, mein lebenslänglicher Wunschtraum, von unserer Tochter wie ein Kind versorgt, fühlt sich wohl bei mir und will ein nie gegebenes Versprechen einlösen.
Es hat etwas für sich, wenn man in anderen Kulturen den dummen jungen Gänsen einen passenden Mann aussucht. Falls die Eltern aus Liebe handeln und nicht auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, könnte das Resultat günstig ausfallen -vorausgesetzt, die jungen Leute haben keine
Vergleichsmöglichkeiten. Ich hätte es mir natürlich niemals gefallen lassen. Aber wäre ich mit Hugo jemals glücklich geworden?
»Warum ist die Kleine nicht gekommen?« fragt er mitten in das Hopsen und Trällern auf der Mattscheibe.
»Cora wird morgen alles erledigen, man darf die Jugend nicht drängen«, unterstelle ich.
»Wenn sie sich drücken sollte, dann kümmere ich mich selbst darum«, sagt der kranke alte Mann, »du kannst dich auf mich verlassen.«
»Lieb von dir«, ich lege meine Hand in die drei Finger seiner linken.
»Du hast immer noch ganz zarte Pfötchen«, behauptet Hugo und streichelt meine Gichtknoten.
Es gibt Tiere, denke ich, die sind sich angeblich ein Leben lang treu, Menschen gelegentlich auch. Hugo wäre es sicher nie gewesen. Ob die eheliche Treue auch eine Illusion ist? Eine romantische Lüge, der wir aufgesessen sind? Leider weiß man über das Liebesleben von Adam und Eva wenig, aber Konkurrenz hat es im Paradies nicht gegeben. Bei den nachfolgenden Generationen geschah die einzig erlaubte Scheidung, nämlich durch den Tod, bereits nach durchschnittlich zehn Ehejahren. Angesichts dieser Zeitspanne war die Treue kein Kunststück.
Als ich aus dem Bad ins Schlafzimmer komme, liegt Hugo verlegen grinsend in meinem Bett. »Raus«, nuschele ich, »ich bin müde und habe die Zähne herausgenommen.« Hugo angeblich auch, er suche bloß ein wenig Wärme und Nähe. Ziemlich schnell schläft er ein, während ich meine Decke und meine vertraute Kuhle verteidige. Als der Morgen graut und ich immer noch wach bin, beschließe ich, Hugo keine derartigen Intimitäten mehr zu gestatten.
Meine Schwester Fanni hat nie mit einem Mann das Bett geteilt, Ida wohl auch nur eine gewisse Zeit lang, selbst Alice hat Defizite aufzuweisen. Ihr Ehemann Gert, der sich langsam von seinen Kriegstraumen erholte, entwickelte sich zu einem leidenschaftlichen Amateurfotografen. Nicht etwa, daß er Urlaubs- und Familienfotos machte oder gar heimlich fremden Schönheiten auflauerte, seine Liebe galt den Tieren. In den sechziger Jahren, als längst noch nicht jeder einen Fernseher besaß, wurden Dia-Abende große Mode. Meistens saß man gelangweilt beisammen, knabberte Salzstangen und trank Kalterer See, dessen rote Farbe man später auf eine Beimengung von Ochsenblut zurückführte. Aber im Gegensatz zu anderen Familienvätern, bei deren ethnologischen Amateurexpeditionen man
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