Kalt, kaltes Herz
du besser auch Geburtshelfer werden sollen. Dann müßtest du nicht soviel grübeln.« Sie gab zwei gehäufte Löffel Zucker in ihren Tee und trank einen Schluck. »Wenn du nicht auf deine Zuckerwerte aufpaßt, wird dein Fuß schlimmer.«
»Meine Zuckerwerte sind in Ordnung.«
Ich schluckte einen Bissen Thunfisch herunter, ohne zu kauen oder Luft zu holen. Dann nickte ich. »Und was sagst du zum Thema Raten?«
»Welche Raten meinst du?«
»In meiner Nachricht auf dem Anrufbeantworter ...«
»Natürlich, ich soll dir was leihen.«
»Du ißt ja gar nichts. Hast du keinen Appetit?«
Ich würgte noch eine Gabel voll Thunfisch hinunter.
Sie warf einen Blick auf die Tomaten, die ich auf die Seite meines Salattellers geschoben hatte. »Ich begreife nicht, warum du unbedingt in Marblehead wohnen willst. Eins muß ich dir sagen: Zweitausend im Monat hört sich für mich an, als würdest du nur für eine teure Adresse bezahlen. Wozu dieser ganze Ärger? Ist doch nur zusätzlicher Streß.« Sie tupfte sich mit der Serviette den Mund ab.
In Wirklichkeit zahlte ich fast fünftausend im Monat.
»Jetzt ist es nicht mehr zu ändern«, meinte ich.
»Gott sei Dank, daß Kathy auch etwas verdient. Mit deinem Einkommen könntest du dir ein solches Leben nie leisten.« Meine Mutter war noch nie einem Beruf nachgegangen. Mit einem Grinsen dachte ich an das Geld von der Versicherung, das sie von meinem Vater geerbt hatte. »Die fetten Zeiten sind vorbei.« Sie machte eine Kaupause. »Was meinst du damit?«
»Daß du vollkommen recht hast. Kathy und ich müssen beide etwas dazuzahlen.«
»Wie dem auch sei. Da ich nichts von ihr gehört habe, habe ich sie heute angerufen.«
»Du hast Kathy angerufen?«
Sie nickte. »Sie sagt, daß du wieder Kokain nimmst.«
»Sie lügt.«
»Warum sollte sie?«
»Keine Ahnung. Frag sie selbst.«
»Also habe ich zwei und zwei zusammengezählt. Du brauchst Geld, und du nimmst Drogen.«
Unwillkürlich fuhr ich mit den Zinken meiner Gabel über den Mahagonitisch.
Die Augenlider meiner Mutter flatterten ein wenig, als sie sah, wie ich das auf Hochglanz polierte Holz zerkratzte. »Wenn du mir das Geld nicht geben willst, sag es mir gleich«, meinte ich leise. »Dann muß ich eben einen anderen Weg finden.« Und zwar schnell. »Es stammt aus seiner Lebensversicherung. Er hat keinen Finger dafür krummgemacht. Er ist bloß gestorben.«
Sie nahm mir die Gabel aus der Hand, tauchte ihre weiße Stoffserviette in Wasser und versuchte, die Kratzer zu entfernen. Ihre Finger bewegten sich mit rasender Geschwindigkeit, und ihre Wangen waren gerötet. »Als er noch lebte, hat er sein Bestes getan.« Sie hörte auf zu schrubben, legte die Gabel auf meinen Teller und polierte den Tisch mit einem trockenen Zipfel ihrer Serviette nach. Die Kratzer waren kaum noch zu sehen. Dann holte sie tief Luft und aß noch einen Fischwürfel. »Ich kann dir zweihundert Dollar geben, wenn dir das weiterhilft.«
Am liebsten hätte ich die Gabel tief ins Mahagoni gerammt, aber ich war auf jeden Dollar angewiesen. »Besser als nichts.« Ich lächelte sie an.
»Bleibst du zum Nachtisch?«
»Natürlich.«
»Ich weiß ja, wie sehr du Reispudding magst.«
Ich verabscheute Reispudding. »Klingt prima«, sagte ich. Sie wurde freundlicher. »Vielleicht kann ich auch dreihundert entbehren.«
Als ich später am Abend, ein Glas Scotch in der Hand, vor meinem Schreibtisch stand, während die Wellen des Ozeans gegen die Deichmauer schlugen, fühlte ich mich immer elender. In den zehn Monaten unseres Zusammenlebens hatte Kathy mindestens ein dutzendmal gedroht, mich zu verlassen – wegen meines Drogenkonsums, meiner Frauengeschichten und meines Faibles fürs Glücksspiel. Doch inzwischen war es elf Uhr, und etwas sagte mir, daß sie diesmal nicht zurückkommen würde.
Ich mußte zugeben, daß es zum Teil mein Fehler war, falls sie mir endgültig den Laufpaß gab. Man kann von einer Frau nicht erwarten, daß sie einem die Stange hält, wenn sie einen gar nicht richtig kennt. Ich hatte versucht, Kathy zu erklären, wie anders Lynn in meiner Kindheit gewesen war. Der Strand war sauber, die Lederfabriken boomten, und die Leute fuhren die fünfzehn Kilometer von Boston hierher, um in der Union Street einzukaufen. Allerdings hatte ich ihr verschwiegen, daß etwas in mir gestorben war, als ich mitansehen mußte, wie die Stadt vor die Hunde ging und verfiel. Ich hatte ihr nicht erzählt, daß mein Vater, Ledergroßhändler im Auftrag der
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