Diebesgeflüster - Band 3
Paternoster
Lea Giegerich
Fabrizio Bariello
Warmer Wind wehte über mein Gesicht. Ich konnte sie fühlen, sie kamen immer näher. Erfreut atmete ich durch. Jetzt kamen wir alle wieder zusammen.
Meine Hand fuhr in die Innentasche meines Mantels, nur um zu überprüfen, ob der Brief noch da war. Er war es. Hartes Pergament schmiegte sich rau an meine Finger. Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Das war es. Unser Lebenswerk. Ich konnte es kaum erwarten, den anderen davon zu erzählen.
»Hallo, Fabrizio«, flüsterte eine zarte, träumerische Stimme.
Ich erschrak. Das hätte ich natürlich vor niemandem zugegeben, aber ich zuckte unwillkürlich zusammen, und für einen Moment verschwand sogar das Lächeln auf meinem Gesicht. Dann grinste ich wieder.
Das Mondlicht, das durch die Zweige fiel, ließ Adas Haut perlmuttfarben glänzen. Ihre dunklen Augen starrten abwesend zu dem sternenklaren Himmel hinauf, und ihre hellen Haare wehten in der leichten Brise. »Bin ich die Erste?« Das vierzehnjährige Mädchen klang, als würde es sie gar nicht interessieren – so wie immer.
»Ich war vor dir hier«, antwortete Constantino und trat aus dem Schatten einer Zypresse. Eigentlich log er – das war mir klar –, aber ich musste ihm glauben, ich musste. Genau wie Ada es musste.
Allmählich kamen auch die Übrigen: Nuccio, Adalgiso und Elisa.
Elisa war die Letzte. Sie betrat die kleine Lichtung mit einem breiten Grinsen. »Ich glaube, ich habe einen knurrenden Magen gehört, und ich dachte, dagegen unternehme ich etwas.«
Ihr Korb, den sie bei sich trug, war randvoll mit frischem Brot. Sie verteilte es, und wir setzten uns kauend in einem Kreis zusammen.
Noch während ich mir die Kruste einverleibte, begann ich zu sprechen: »Mir ist etwas zugetragen worden. Etwas, das unser aller Leben verändern wird. Wenn uns das gelingt, was ich geplant habe, müsst ihr nie wieder arbeiten.«
»Sag schon, Fabrizio! Wir wissen, dass deine Pläne grandios sind. Aber ganz ehrlich: Die Ringe des Papstes haben nicht sehr viel Gewinn eingebracht. Ich musste mich letztendlich doch wieder um die Pferde kümmern«, ärgerte sich Constantino.
»Diesmal nicht, Amigo.« Ich griff in den Mantel und holte theatralisch den Brief heraus. »Es handelt sich um den Heiligen Gral!«
Adalgiso schnaubte – so laut wie eines von Constantinos Pferden, die dieser hüten musste.
»Du weißt schon, dass es nicht bewiesen ist, ob es diesen Gral überhaupt gibt«, meinte Elisa mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie war wunderschön, sogar wenn sie misstrauisch oder wütend oder traurig war. »Eine Schale, mit der man das Blut Jesu aufgefangen haben soll? So ein Schwachsinn!«
Ich hatte geahnt, dass Elisa das sagen würde. Sie war skeptisch. Immer.
»Dieser Brief hier beweist, dass der Gral existiert – und zwar genau hier. In Rom.« Zittrig vor Aufregung faltete ich das Pergament auseinander. Eine enge, elegante Schrift füllte es vollkommen aus. Das war die Schrift des Papstes Julius II., doch in dem fahlen Licht konnte ich sie nicht lesen.
Elisa nahm mir das Schriftstück aus der Hand und überflog es. Ich wünschte, ich hätte auch solch gute Augen. »Wo hast du das her, Fabrizio?«
Ich zuckte grinsend mit den Schultern. Niemals würde ich ihnen erzählen, wo ich meine Informationen herbekam. Das kannten meine Freunde schon.
»Was steht da drinnen?«, fragte Adalgiso interessiert.
»Es ist ein Brief von dem Papst an irgendeinen Bischof, in dem er erzählt, dass er es endlich geschafft hätte. Er hätte den Heiligen Gral gefunden und im Gewirr der Geheimgänge unter seinem Palast sicher versteckt. Es sei tatsächlich eine Schale gewesen – so wie man es bereits lange Zeit vermutet habe. Wenn er den Heiligen Gral besitzt … was soll dann der Mist mit den Ablassbriefen?« Elisa gab mir den Brief zurück.
»Was wäre, wenn der Papst das bloß erzählt, um diesen Bischof reinzulegen?«, fragte Adalgiso.
Elisa und ich schüttelten synchron den Kopf.
»Nicht mit dieser Wortwahl. Das hörte sich an, als hätte der Papst seinem Bruder geschrieben«, erklärte ich ihm.
Elisa nickte stumm. Hatte sie das Dokument so schnell gelesen? »Es wäre dumm, jemandem zu erzählen, man habe den Heiligen Gral. Der Gral ist so beliebt, dass einige dafür töten würden.«
Nein, Elisa hatte den Brief nicht komplett gelesen.
»Wofür brauchen wir ihn dann?«, wollte Constantino wissen.
Ich war ihm dankbar, dass er eine Frage stellte und keine Aussage machte, denn
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