Kalt, kaltes Herz
und verschon mich mit deinem Psychogequatsche.«
»Kein Problem.« Ich kippte den letzten Schluck Scotch herunter. Manchmal schaffe sogar ich es, über meinen Schatten zu springen und mich nicht für die Schwierigkeiten anderer Leute zu interessieren.« Ich stand auf und setzte mich wieder an den Laufsteg.
Eine Blondine, wahrscheinlich noch unter achtzehn, lag mit gespreizten Beinen auf dem Rücken und bewegte im Rhythmus von »Addicted to Love« das Becken wie beim Sex. Ich rollte einen Dollarschein zusammen und warf ihn ihr zu. Lächelnd fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. Nachdem ich dem Mädchen noch einen Dollar zugeworfen hatte, stand ich auf und wollte gehen. Als ich an der Bar vorbeikam, rief Max mich zu sich und gab mir eine zusammengefaltete Serviette. »Von Tiffany«, blaffte er. Ich drückte ihm meinen letzten Zehner in die Hand und verließ das Lokal.
Im Rover faltete ich die Serviette auseinander. Darauf stand der Name Rachel und die Nummer ihres Piepsers. So leicht kann man sich in Menschen irren. Ich steckte die Serviette ein und startete den Motor. Als ich von dem Parkplatz fuhr und in den Rückspiegel blickte, sah ich Trevor Lucas' roten Ferrari ankommen. Das glaubte ich wenigstens. Aber wenn man Koks in Kombination mit Alkohol intus hat, weiß man nie so genau.
Ich fuhr nach Hause und schluckte drei Valium, bevor ich mich schlafen legte. Früher genügte eins, um die Alpträume in Schach zu halten, doch das war einmal. Reglos lag ich da, ohne daß meine Gedanken zur Ruhe kamen. Es dauerte fast eine Stunde, bis der Kampf der Beruhigungs- und Aufputschmittel in den chemischen Rezeptoren meines Gehirns mich in einen Zustand zwischen Schlaf und Wach sein versetzte. Während ich in diesem Fegefeuer um Erlösung betete, ertappte ich mich wieder bei der Frage, wie ein Mann, der gewalttätig genug war, eine Frau zu zerstückeln, sie gleichzeitig so zartfühlend vergewaltigen konnte, daß ihr empfindlichster Körperteil nicht einmal den winzigsten Schleimhautriß aufwies.
3
Mittwoch, 2:38
Ich fuhr hoch und riß die Arme vors Gesicht, um den nächsten Schlag abzuwehren. Mit strampelnden Beinen schob ich mich auf der Matratze vorwärts, bis ich ans Kopfbett gepreßt kauerte und hin und her schaukelte wie ein Kind. Ich sah mich im dunklen Zimmer um. Obwohl ich wußte, daß der Traum vorbei war, roch ich noch immer den alkohol- und tabakgeschwängerten Atem meines Vaters. Meine Nase brannte, und vom Zähneknirschen tat mit der Kiefer weh. Außerdem war mein Mund so trocken, daß es schmerzte. Ich machte Licht. Da ich voll bekleidet schlafen gegangen war, trug ich immer noch meine Stiefel. Der Geruch nach Scotch und Zigaretten kam einzig und allein von mir. Ich rappelte mich auf, zog mich aus und ging ins Bad, um einen Schluck Leitungswasser zu trinken. Das kalte Wasser schmerzte zwar an den Zähnen, doch (las Brennen in Mund und Kehle ließ nach. Dann zündete ich mir eine Marlboro aus dem Päckchen in der Hausapotheke an und setzte mich in den Ohrensessel neben dem Bett. Ich hatte Angst, fühlte mich hilflos und leer.
War ich wirklich so viel stabiler als Westmoreland? Oberflächlich betrachtet war ich Arzt, fuhr einen Rover und lebte mit einer Berufskollegin in Marblehead. Ich hatte mit einem psychotischen Obdachlosen nichts gemein. Aber im Grunde meines Herzens wußte ich, (laß es auch einige Übereinstimmungen gab. Er hatte kein Heim, ich fühlte mich in meinem nicht wohl – ja, nicht einmal in meiner eigenen Haut. Er wurde von Stimmen und Visionen geplagt, ich von meinen Erinnerungen, die mich aus dem Schlaf rissen und die ich nur im Drogennebel vergessen konnte. Wie stark mußte der Schmerz, wie schrecklich ein Erlebnis sein, damit ich ebenfalls den Verstand verlor?
Mehr als ein Drittel der sechsunddreißig Stunden, die Emma Hancock mir zugestanden hatte, war schon vorbei. Und ich wußte kaum mehr über Westmoreland als am Anfang.
Gerade wollte ich mir einen Scotch eingießen, als das Telephon läutete. Da ich vermutete, daß es Kathy war, überlegte ich, ob ich rangehen oder sie darüber im ungewissen lassen sollte, wo ich steckte. Am Ende von
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit
gibt es eine Szene, in der Paul Newman das Telephon einfach weiterklingeln läßt, weil er ahnt, daß seine untreue Exfreundin am Apparat ist. Eigentlich wollte ich es genauso machen, aber ich bin nun mal nicht Paul Newman, und ich hatte das Beürfnis, mit ihr zu sprechen. »Clevenger«, meldete ich
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