Kalt kommt der Tod (German Edition)
wer da spricht«, sagte Packer.
Otto C. Riesenberg. Reeder. Reich. Unmäßig reich. Seit Ewigkeiten Mitglied aller Bremer Kaufmannsvereinigungen, Vizepräses der Handelskammer, Mäzen der Bremer Kunsthalle. Ein Mann mit Einfluss und vielen Facetten.
»70 Jahre alt und immer noch auf der Brücke«, hatte der Weser-Kurier anlässlich seines runden Geburtstags vor zwei Jahren unter das Foto geschrieben, das Riesenberg mit dem Bürgermeister zeigte, der persönlich zum Gratulieren vorbeigekommen war. Auf dem Bild besaß sein knochiges, ausgemergeltes Gesicht noch immer eine starke Ausstrahlung, und seine Augen zeigten, dass er in seinem Leben schon so einiges gesehen hatte.
Bei aller tief empfundenen Abneigung beeindruckte Packer der Mut des Mannes, ihn anzurufen. Jemand musste schleunigst den Papst anrufen, um das Wunder zu melden.
Wie es seine Art war, kam Riesenberg sofort zur Sache.
»Carolin wird vermisst.«
Packer nahm die Information zur Kenntnis, als würde er eine Akte ins Regal stellen, doch sein Herz begann augenblicklich zu rasen.
»Und?«
»Sie befand sich mit zwei Kolleginnen und fünf Studenten auf einer Expedition, um Daten über die Veränderung des Klimas zu sammeln. Fünf von ihnen kehrten zurück, drei nicht. Anscheinend weiß niemand genau, was passiert ist. Am Morgen des zweiten Tages waren die drei Frauen einfach verschwunden. Wir machen uns große Sorgen um Carolin.«
Packer sagte das Erste, was ihm einfiel: »Wo?«
»Auf Spitzbergen. Carolin hat vor zwei Jahren eine Professur für Meteorologie und Glaziologie an der Universität von Longyearbyen angenommen. Du kennst sie, wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, bringt niemand sie davon ab.«
Und ob er Carolin kannte, in dieser Beziehung hatte sie einiges von ihrem Vater abbekommen.
»Und das soll mir genau was sagen?«, fragte er.
»Die Behörden haben Rettungstrupps losgeschickt. Die Polizei ist mit Schneemobilen ausgerückt, Freiwillige aus der Stadt haben sich den Teams angeschlossen. Sie sind immer wieder raus, aber bis jetzt haben sie keine Spur von ihnen gefunden, diese Stümper. Und jetzt kommst du ins Spiel, Phong, der Beste, den ich kriegen kann. Ich möchte, dass du die Sache in die Hand nimmst, verstanden?«
»Du könntest dir eine Armee leisten, um Carolin zu suchen«, entgegnete Packer.
»Du klingst etwas gereizt, Junge.«
»Überrascht dich das?«
»Es gilt, einen kühlen Kopf zu bewahren«, sagte Riesenberg.
»Bei fünf Grad minus da draußen kein Problem.«
Packer hörte, wie Riesenberg sich eine Zigarre anzündete, wahrscheinlich war es noch immer dieselbe Marke: Davidoff, egal welches Format, er mochte sie alle.
»Was hältst du davon, wenn wir unsere Meinungsverschiedenheiten für eine Weile ruhen lassen? Ich brauche deine Hilfe, Phong, und wenn es stimmt, was ich so höre, hast du im Moment nicht gerade viel um die Ohren. Außerdem nahm ich an, die Nachricht würde dich interessieren. Immerhin habt ihr beide euch früher nahegestanden. Du musst sie mir zurückbringen, Phong!«
Da waren sie wieder, die alten Geister, die ihm seit neunzehn Jahren keine Ruhe ließen. Der Kasernenton von O. C. Riesenberg. Und Carolin, Riesenbergs Tochter, die immer so schnell von A nach B wollte und deshalb so oft bei C gelandet ist. Packer war das A gewesen, danach hatte es viele Cs gegeben.
»Sorg dafür, dass wir sie wiederkriegen, du weißt, wie sehr wir sie lieben.«
Wie hätte er das vergessen können. Sie hatten es ihn spüren lassen.
»Du willst, dass ich die Sache als Job betrachte und sonst nichts?«
»Ganz genau.«
»Ich soll sie suchen, finden, und das war’s?«
»Hör zu, hier ist jemand, der dich sprechen möchte, bleib dran!«
Ein Rauschen im Hörer.
Dann hörte Packer eine verweinte Stimme. Louise, die langjährige Haushälterin der Riesenbergs und einer der wenigen Menschen, die in seinem Leben eine wichtige Rolle spielten. Einmal im Monat trafen sie sich im Café Knigge in der Sögestraße, wo Louise so gern oben am Fenster saß und auf den Schwarm der Fußgänger hinabsah und dabei zwei Stücke Käse-Sahne-Kuchen verdrückte und zwei Cappuccini trank, ein Getränk, das sie noch gar nicht so lange kannte. Im nächsten Jahr würde sie achtzig werden.
Verdammt, dachte Packer, der Alte zieht wirklich alle Register, aber dafür ist er ja bekannt.
Und berüchtigt.
Louise sagte: »Wegen der alten Zeiten, mein lieber Phong. Ihr habt so schön zusammen gespielt. Tu es für euch. Bitte!«
Mehr brachte sie
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