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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Buenos Aires – Die Gegenwart
    {9} Adrian Hartmann verließ seine palastartige Villa an der Avenida del Libertador Nr. 3600 durch den Nebeneingang und trat hinaus an die frische Morgenluft. Er war ein begeisterter Jogger und Fitneß-Fanatiker, der sich eine strenge Disziplin auferlegte und stets zur gleichen Zeit seine Streckübungen begann, bevor er den Lauf gegen die Stoppuhr aufnahm. Er wurde unruhig und konnte es nicht mehr abwarten.
    »Mein Gott, Ortega«, drängte er seinen Leibwächter, »wo bleiben Sie denn?«
    Er hüpfte auf seinen Fußballen auf und ab und streckte seine Arme nach hinten, während er die kühle Luft begierig aufsog. Was für ein herrlicher Morgen! Aber wo blieb denn nur Ortega? Er rief noch einmal durch die halb geöffnete Tür.
    »Wo bleiben Sie denn, Mensch?« Widerlich, dachte Hartmann. Vor zehn Jahren noch war Ortega einer der besten Fußballspieler in Argentinien gewesen, und nun mußte man ihn förmlich aus dem Bett zerren, damit er seinen Arbeitgeber beim morgendlichen Lauftraining begleitete.
    Adrian Hartmann setzte seine Aufwärmübungen fort. Er spielte mit dem Gedanken, ohne seinen Leibwächter loszulaufen, aber in letzter Zeit hatte es in Buenos Aires einige Entführungsfälle gegeben, und er war einer der reichsten Juwelenhändler Südamerikas. Der Gedanke an eine Entführung behagte ihm nicht sonderlich.
    Endlich erschien Ortega an der Tür und schickte sich an, die Laufschuhe, die er noch in den Händen hielt, anzuziehen. Der Anblick seines übergewichtigen Leibwächters, für den es schon eine Mühe bedeutete, wenn er sich bücken mußte, um sich die Schuhe anzuziehen, machte Hartmann noch ungeduldiger. Er beugte sich hinunter, zog die Reißverschlüsse seines Jogginganzugs über den Fußknöcheln zu und wandte sich dann an Ortega. »Ich laufe jetzt los. Die gleiche Strecke wie immer, durch den Park und um den See herum. Fünf Kilometer.« Er blickte auf die Uhr, die Viertel vor sechs anzeigte. Er drückte den Knopf seiner Stoppuhr und joggte den serpentinenartigen Weg von der Villa zur Avenida del Libertador hinunter, in die er nach rechts einbog.
    {10} Hartmann hatte schon ungefähr dreihundert Meter auf der Straße zurückgelegt, als Ortega das Tor zum Anwesen erreichte. Er legte sein Pistolenhalfter um und verstaute seine schwere Neun-Millimeter-Waffe gewissenhaft, damit sie ihm unterwegs nicht herausfiel. »Verrückter Alter«, murmelte Ortega vor sich hin, als er sah, daß er Hartmann nur noch dann einholen konnte, wenn er quer durch den Park lief. Dieses Wagnis aber wollte er nicht eingehen, denn es hätte bedeutet, seinen Arbeitgeber aus den Augen zu verlieren.
    Die Sonne, die noch nicht aufgegangen war, färbte den Himmel im Osten bereits feuerrot. Hartmann, dessen Laufstil etwas Verkrampftes an sich hatte und von seinem ungeduldigen Wesen und seiner Härte gegen sich selbst zeugte, bemerkte, daß die Eukalyptusbäume ein frisches Grün anlegten. Er lebte nun schon so lange in Buenos Aires, und doch hatte er sich nie daran gewöhnen können, daß der Oktober hier ein Frühlingsmonat war.
    An der Avenida Sarmiento bog er nach links ab und lief in die ausgedehnte Parkanlage, wo Wiesen und Büsche in üppiger Blüte standen. Er lief jetzt etwas schneller und sah in der Ferne das Klubhaus am Ufer des Sees, das erst kürzlich wieder eröffnet worden war. Unter der Militärjunta war es geschlossen worden, kurz nachdem der Jokkey-Klub durch Brandstiftung in Schutt und Asche gelegt worden war. Hartmann kochte vor Wut und dachte: Diese verdammten Kommunistenschweine haben wirklich allen nur Probleme bereitet!
    Während er weiterlief, drückte Hartmann seine Hand an den Hals und warf einen Blick auf die Stoppuhr, um seinen Puls zu messen. Er zählte zehn Sekunden lang. »Zweiundzwanzig«, murmelte er und atmete dabei aus. Einhundertzweiunddreißig Pulsschläge pro Minute, das war gar nicht übel. Mit diesem Herz konnte er gut und gerne hundert Jahre alt werden. Vielleicht sogar einhundertundfünfzig, wie einige dieser Bauern im Kaukasus, von denen er gehört hatte. Unsinn, sagte er sich, während er weitertrabte. Das Geheimnis ihrer einhundertundfünfzig Jahre liegt darin, daß sie jedes Jahr doppelt zählen!
    Hartmann bog nach links ab, als er die Avenida Infanta Isabel erreichte, eine kleine, staubige Straße, die noch weiter in den Park hin {11} einführte. Er warf einen Blick zurück in Richtung Avenida Sarmiento und bemerkte den keuchenden Ortega, der sich immer

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