Kalt wie Stahl - Der 3 Joe Kurtz Thriller
und ich von der Annahme ausgehen, dass sie nicht das eigentliche Ziel war; dass jemand versucht hat, dich in der Tiefgarage umzubringen, und die arme O’Toole nur das Pech hatte, im Weg zu stehen.«
»Ja«, entgegnete Kurtz müde. »Ich weiß.«
Sie ging ohne ein weiteres Wort. Kurtz wartete ein paar Minuten, hievte sich mühsam aus dem Bett – er musste sich eine Minute an der Metallreling festhalten, um das Gleichgewicht zurückzuerlangen –, dann suchte er das Zimmer und die Nasszelle nach seinen Kleidern ab, obwohl er wusste, dass es vergeblich war. Nachdem er Schwester Ratchets Bettpfanne geflissentlich ignoriert hatte, nutzte er die Gelegenheit, um zu pinkeln. Selbst davon drohte sein Schädel zu platzen.
Danach schob Kurtz das mobile Infusionsgestell vor sich her in den Korridor. Nichts im ganzen Universum sieht so mitleiderregend aus wie ein Mann im Krankenhaushemd mit herausblitzendem blanken Hintern, der ein Infusionsgestell vor sich herschiebt. Eine Krankenschwester, die er nicht kannte, blieb neben ihm stehen, um sich zu erkundigen, wohin er wollte.
»Zum Röntgen«, erwiderte Kurtz. »Sie sagten, ich soll den Aufzug nehmen.«
»Mein Gott, Sie sollten überhaupt nicht aufstehen«, empörte sich die Schwester, eine junge Blondine. »Ich hole einen Pfleger und eine Transportliege. Sie gehen zurück in Ihr Zimmer und legen sich hin.«
»Sicher«, versprach Kurtz.
Im ersten Zimmer, in das er hineinspähte, lagen zwei alte Damen in zwei Betten. Im nächsten ein kleiner Junge. Der Vater, der auf einem Stuhl neben dem Bett saß und offensichtlich auf die Morgenvisite wartete, sah mit dem Blick eines Rehs im Fadenkreuz des Jägers zu Kurtz auf – verängstigt, hoffnungsvoll, resignierend, als warte er auf den tödlichen Schuss.
»Sorry«, murmelte Kurtz und schlurfte wieder hinaus.
Der alte Mann im dritten Zimmer lag offensichtlich im Sterben. Der Vorhang war so weit zugezogen, wie es ging, er war der einzige Patient in dem Doppelzimmer und auf dem Krankenblatt am Fußende seines Bettes klebte ein blauer Zettel mit der Aufschrift »Verzicht auf Wiederbelebung«. Der Atem kam trotz des Sauerstoffgerätes einem Todesröcheln schon verdächtig nahe.
Kurtz fand die Kleider säuberlich gefaltet und gestapelt im unteren Regal des kleinen Schrankes – die typische Garderobe eines Senioren. Eine Cordhose, die ihm nur ein bisschen zu klein war, ein kariertes Hemd, Socken, abgewetzte Schuhe, in denen Kurtz’ Füße entschieden zu viel Spielraum hatten, und ein Trenchcoat, der vermutlich aus Peter Falks Altkleidersack stammte.
Glücklicherweise hatte der Alte auch einen Hut mitgebracht – einen Bogart-Filzhut mit authentischen Schweißflecken und einer Krempe, die bereits mit dem richtigen Kniff gefaltet war. Kurtz fragte sich, welcher Verwandte wohl in ein oder zwei Tagen seinen Schrank ausräumen würde und ob er die Kopfbedeckung vermissen würde.
Joe schritt forsch auf den Aufzug zu, mit mehr Schwung im Gang, als er eigentlich aufbringen konnte, und sah weder nach links noch nach rechts. Er stieg nicht im Foyer aus, sondern fuhr bis in die Tiefgarage hinunter, dann folgte er der offenen Rampe hinaus in die frische Luft und den Sonnenschein.
Neben der Notaufnahme stand ein Taxi und bevor der Fahrer ihn kommen sah, hatte Kurtz bereits die Tür geöffnet und sich auf den Rücksitz fallen lassen. Er nannte ihm die Adresse.
Der Taxifahrer drehte sich um, musterte ihn aus schmalen Augen und murmelte um seinen Zahnstocher herum: »Ich soll eigentlich Mr. Goldstein und seine Tochter abholen.«
»Ich bin Goldstein«, log Kurtz. »Meine Tochter besucht noch jemand anderen im Krankenhaus. Wird eine Weile dauern. Fahren Sie los.«
»Mr. Goldstein soll ein alter Mann Anfang 80 sein. Beinamputiert.«
»Die Fortschritte der modernen Medizin sind doch immer wieder erstaunlich«, verkündete Kurtz mit dem strahlendsten Lächeln, zu dem er sich in der Lage sah. Er starrte dem Taxifahrer fest in die Augen. »Fahren Sie los.«
KAPITEL 4
Kurtz’ neues Zuhause, das Harbor Inn Hotel, war ein leer stehendes Flussschifferhaus mit dreieckigem Grundriss, ebenso vielen Stockwerken und angeschlossener Bar, das einsam inmitten von unkrautbewachsenen Feldern südlich des Zentrums von Buffalo stand. Um dorthin zu gelangen, musste man den Buffalo River auf einer einspurigen Metallbrücke zwischen verlassenen Getreidesilos überqueren. Die Brücke ließ sich komplett nach oben fahren, um dem Schiffsverkehr – heute praktisch
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