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Kalt wie Stahl - Der 3 Joe Kurtz Thriller

Kalt wie Stahl - Der 3 Joe Kurtz Thriller

Titel: Kalt wie Stahl - Der 3 Joe Kurtz Thriller
Autoren: Dan Simmons
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nicht mehr existent – Platz zu machen und an den Stahlträgern hing ein Hinweisschild für Schneepflüge: »Vor der Überfahrt Schaufel nach oben klappen!«
    Sobald man die Insel erreichte, wie die Einheimischen das Areal liebevoll nannten, obwohl es sich streng genommen nicht um eine Insel handelte, roch die Luft nach verbranntem Getreide, denn die einzige noch arbeitende Fabrikanlage inmitten der verlassenen Lagerhäuser und Silos war das große General-Mills-Werk zwischen Fluss und Eriesee.
    Der Haupteingang des Harbor Inn – weiterhin verrammelt, aber von ihm mit Schloss und Scharnieren versehen – befand sich an der Spitze des Deltas, an dem Ohio Street und Chicago Street aufeinanderstießen. Über dem Portal ragte ein drei Meter hoher metallener Leuchtturm in die Höhe, dessen blauer und weißer Anstrich ebenso wie das Harbor-Inn-Logo von Rostflecken übersät war. Es sah fast so aus, als habe jemand mit einem Maschinengewehr darauf geschossen. An der Tür verkündete ein verblichenes Holzschild ZU VERMIETEN, ELICOTT DEVELOPMENT COMPANY und verwies Interessenten auf eine Telefonnummer mit 716er-Vorwahl. Darunter stand in noch älterer und blasserer Schrift:
    Chicken Wings – Chili, Sandwiches – Tagesgerichte
    Kurtz holte den Ersatzschlüssel aus dem Versteck, schloss das Vorhängeschloss an der Vordertür auf, schob die hölzerne Barrikade aus dem Weg, stieg hinein und verriegelte wieder. Nur ein paar vereinzelte Strahlen Sonnenlicht drangen zwischen den Brettern hindurch in den großen dreieckigen Raum – das ehemalige Foyer und Restaurant des Hotels. Überall lagen Staub, Putz und Holzreste, außer auf dem schmalen Pfad, den er freigeräumt hatte. Die Luft roch nach Schimmel und Fäulnis.
    Hinter dem Foyer führte links eine schmale Treppe nach oben. Kurtz vergewisserte sich anhand einiger Kontrollmarkierungen, dass während seiner Abwesenheit niemand eingebrochen war, dann stapfte er langsam nach oben, wobei er sich immer wieder am Geländer festhalten musste, wenn ihm vor Schmerzen schwindlig wurde.
    Er hatte drei Zimmer und ein Bad im ersten Stock zurechtgemacht. Es gab aber noch weitere Verstecke und Fluchtrouten in sämtlichen neun Räumen auf der Etage. Mittlerweile waren die Fenster erneuert und der ebenfalls dreieckige Saal im vorderen Teil des Gebäudes aufgeräumt. Er nutzte ihn nicht etwa als Schlafzimmer, das war direkt nebenan, sondern als Trainingsraum, ausgestattet mit Punchingball, Sandsack und einem Laufband, das er aus dem Haufen ausrangierter Geräte hinter dem Buffalo Athletic Club vor dem Sperrmüll bewahrt und repariert hatte, eine gepolsterte Hantelbank und mehrere Gewichte.
    Kurtz war nie dem Bodybuilding-Wahn erlegen, der während seiner elfeinhalb Jahre in Attica grassierte – er fand, dass Kraft schön und gut, aber Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit deutlich wichtiger waren –, doch während der letzten sechs Monate hatte er eine Menge Krankengymnastik betrieben. Zwei der Fenster überblickten die Chicago Street und die Ohio Street sowie die leer stehenden Getreidesilos und Fabriken im Westen. Das mittlere Fenster wies genau auf das pockennarbige Leuchtturmschild.
    Sein Schlafzimmer war nichts Besonderes: eine Matratze, ein alter Schrank, in dem jetzt seine Anzüge und andere Kleidungsstücke hingen, außerdem Holzläden vor den Fenstern. Das dritte Zimmer füllten an zwei Wänden selbst gebaute Regale aus Backsteinen und Brettern, randvoll mit Taschenbüchern, ein fadenscheiniger roter Teppich, eine einsame Stehlampe, die Arlene hatte wegwerfen wollen, und – erstaunlicherweise – ein Eames-Sessel und eine Ottomane, die irgendein Idiot in Williamsville an die Straße gestellt hatte. Es sah aus, als hätte sich eine 40-Kilo-Katze mit ihren Krallen an der schwarzen Lederpolsterung zu schaffen gemacht, doch Kurtz hatte die schlimmsten Risse mit Isolierband ausgebessert.
    Kurtz wanderte zum Ende des dunklen Flurs, zog die Kleider des alten Mannes aus und nahm eine schnelle, aber sehr heiße Dusche, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass kein Wasser an seine Verbände kam.
    Nachdem er sich abgetrocknet hatte, holte Kurtz seinen Gillette heraus, drückte sich Rasierschaum auf die Handfläche und warf zum ersten Mal einen Blick in den Spiegel.
    »Jesus Christus«, zuckte er angewidert zusammen.
    Das Gesicht, das ihm entgegenblickte, war unrasiert und kaum als menschlich zu bezeichnen. Die Verbände trieften blutnass und er konnte den ausrasierten Bereich um sie herum
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